85. RUND UM DIE LANDESKRONE
DEUTSCHE MEISTERSCHAFT MASTERS EINER STRAßE
LANDESMEISTERSCHAFT SACHSEN
Görlitz, 3. Juli 2022
STRECKE ¤ VORBEREITUNG ¤ RENNEN ¤ STATISTIK
Prolog
 
Sachsens letztes echtes Radrennen, das 1932 erstmals ausgetragene „Rund um die Landeskrone“, war nach zwei Jahren Zwangspause zurück! Parallel zum Auftakt der Tour de France in Dänemark kämpften am ersten Sonntag im Juli 2022 auf dem Rundkurs um den Görlitzer Hausberg die alten Haudegen der Radszene um den Titel „Deutscher Meister“. Damit stiegen die nationalen Meisterschaften der Masters wie mehr als ein Dutzend Mal zuvor erneut in Görlitz. Für viele war das von den Postrennradlern gemachte Kultrennen der Höhepunkt des Jahres. Die Sonne schien, weiße Cumuluswölkchen schwebten am Himmel, Fahnen flatterten im Wind, die Bordsteine waren von sommerlich gekleideten Menschen gesäumt, im Ziel duftete es nach Kuchen und Bier, das Deutschlandlied erklang: Alles schien für einen herrlichen Tag gerichtet. Aber da war eine unsichtbare Gefahr: Omikron! Mutmaßlich jeder zweite Sachse litt unter Erkältungssymptomen. Das traf auch mich!
 
.:: DIE STRECKE ::.
Am östlichen Rand Deutschlands erwartet die Fahrer ein knackiges Gelände mit wenig Atempausen. Kurze, giftige Rampen prägen den Tag und sprengen das Feld. Kräftezehrend und zermürbend sind die vielen windanfälligen, leicht welligen Abschnitte durch kleine Waldstücke und über offenes Ackerland. Allein zu sein ist da tödlich. Das Rennen startet zwischen der Endhaltestelle „Landeskrone“ und dem Hotel „Burghof“, einer alten Villa im Görlitzer Süden. Umringt von den Hügeln der Oberlausitz durchquert der Kurs anschließend als asphaltierte 17,5-Kilometer-Runde die Dörfer Kunnerwitz, Jauernick, Friedersdorf, Pfaffendort und Schlauroth rund um die 420 Meter hohe Landeskrone, den tertiären Berg an der Neißestadt. Die letzten achthundert Meter zum Ziel am Burghof sind ansteigend. Der Gesamtanstieg pro Runde beträgt 243 Meter. Damit waren es im Rennen der Masters 4 siebenhundert Höhenmeter verteilt auf 52 Kilometer. Zu kurz für ein klassisches Straßenrennen, in dem es um Ausdauer geht. Doch ein Leckerbissen für Puncheure, Fahrer mit der Kraft, giftige Hügel aggressiv zu drücken.
 
.:: DIE VORBEREITUNG ::.
Der bisherige Saisonverlauf war akzeptabel, doch das Ende eins zum Vergessen. Die Schlußwoche begann mit einer SOMMERGRIPPE, die ich mir beim Rauf und Runter (Schwitzen und Auskühlen) im Erzgebirge eingefangen hatte - und die sich hartnäckig hielt. Auch eine Mutation von Covid oder Omikron schien möglich. Doch der Schnelltest fiel negativ aus. Nach dem Ausfall des mittwöchlichen Bahncups auf der Rennbahn in Heidenau fiel auch mein selbstgewählter Ersatz - ein 130-Kilometer-Straßentraining mit den Picardellics Dresden ins tschechische Adolfovo - wegen Regen ins Wasser. Damit entfiel für mich die wichtigste Einheit kurz vorm Wettkampf. Individuelle Verabredungen scheiterten an der Abstimmung. Monatelang hatte ich wie ein Tier gerackert. die Woche vorm Rennen war ein Haufen Scheiße!
 
Als Trainingsbeispiel die vorletzte Woche vor der Meisterschaft vom 20. bis 26. Juni:
 
Mo.: 5 km lockeres Laufen
Di.: 84 km Straßentraining im Erzgebirge mit 1100 Höhenmetern
Mi.: 10. Lauf zum DSC-Cup auf der Radrennbahn Heidenau: 140-Runden-Punktefahren (35 km), An- und Abfahrt: 43 km
Do.: 40 km locker mit dem Mountainbike
Fr.: 80 km mit dem Mountainbike bei strömendem Regen (Ersatz für abgesagtes DSC-Training)
Sa.: 132 km Straßentraining flach mit dem Dresdner SC
So.: 94 km wellig bis hügelig mit der Pre-Velorace-Dresden-Veranstaltung
 
.:: DAS RENNEN ::.
Nachts um vier klingelte der Wecker. Ich hatte kurz, aber gut geschlafen. Zum Frühstück stand Reis mit Olivenöl, Tomaten und Parmesan auf dem Speiseplan. Halb sieben machten wir uns auf Achse von Dresden über die Autobahn 4 an die Ostfront. Meine Kirsche chauffierte mich hin. Eine Stunde vorm Peng schloß das Meldebüro im Viktoriagarten. Fast auf den letzten Drücker trafen wir ein. Bis zehn Minuten vorm Start mußte man sich ferner im Startgelände am Burghof eingeschrieben haben. Da die Listen die höheren Nummern nicht erfaßt hatten, wurde improvisiert: Herr Lohr modelte eine Ergebnisliste zur Einschreibeliste um. Ich signierte im Feld 147. Von 52 angemeldeten Masters-4-Fahrern standen letztlich 40 am START. Ein Sprecher sagte die letzte Minute vorm Peng an: Daß das Kommando als „Schuß“ fallen würde, und eine Minute sehr lang sein kann (und das wiederholte er vor jedem Rennen). Und dann war die bange, stumme Minute abgetickt...
Fünf Minuten nach den Masters 3 ertönte Punkt 9 Uhr 35 der Bumm! fürs Feld der Masters 4. Das Rennen begann mit einer Aussicht auf den bewaldeten Vulkankegel der Landeskrone in die grüne Natur hinein. Eine hübsche Sonntagsausfahrt, könnte man denken; kommt man gemütlich rein. Denkste! Pustekuchen! Der Aufwand, die Anreise und die Anspannung vorm wichtigsten Radrennen des Jahres waren für viele immens. Jeder versuchte, dem Trubel zu entkommen. Und so war von Anfang an Streß im Feld und das Tempo knapp an die vierzig Sachen. Das wellige Terrain und meine Wut über die eigene Schwächung hatten es in sich. Nach Halsschmerzen und Hustenattacken schien es besser zu gehen, aber am Renntag brummte mein Kopf immer noch. Ich hätte überhaupt nicht starten dürfen! Gleich mit den ersten Metern ging es ständig rauf und runter. Und dies in sengender Hitze. Ich bekam keine Luft, die Lungen waren zu, die Beine nach kurzer Zeit blau. Schon im ersten Anstieg mußte ich mit paar anderen, darunter dem Hannoveraner Backhausen, abreißen lassen - konnte nach zähem Kampf einen Kilometer lang hundert Meter hinter dem Feld das Loch allerdings allein schließen und war zurück in der Meute. Backhausen hatte die Ablöse verweigert. Doch wenige Kilometer weiter - im Knüppel Schlauroth ausgangs der ersten Runde - explodierte das Feld endgültig. Danach hieß es Gruppetto. Die Abgefallenen sammelten sich in einer Zweckgemeinschaft, um die Meisterschaft würdig zu Ende zu bringen. Zur Rennmitte kam uns der Leipziger Großegger von vorn entgegen. Jener staunte „Woher kommt ihr denn alle?“ - um den Rest unauffällig mitzuschwimmen. Irgendeiner glaubt eben immer, er habe andere Rechte und wird am Ende sowieso schneller ins Ziel preschen als die anderen. Final verloren wir acht Minuten auf die Spitze und sechs Minuten auf das Dutzend vor uns. Eine weitere Rechnung galt der Sächsischen Landesmeisterschaft: Sechs Fahrer aus Sachsen hatten am Start gestanden. Schwarz hielt sich vorn, Großegger fuhr in meiner Gruppe, „Harti“ Goldbach kurbelte hinterher. Aber wo befanden sich die beiden anderen? Möglicherweise kämpfte ich mit Großegger um Bronze in der Landesmeisterschaft... Auf der dritten und letzten 17-Kilometer-Schleife versuchte ich mit den immergleichen drei, vier Mitstreitern wegzukommen, wo es nur ging. Vergeblich. So ging unser Rudel zu zehnt in den Endkampf. Der Schlußanstieg mußte über die Plätze entscheiden. Die Steigung hinauf zum Zielstrich am Burghof war zwar nicht dramatisch, aber lang. Wer nicht sprinten konnte, mußte früh angreifen, brauchte Stehvermögen und vielleicht Unterstützer. Denn allein wurde der Weg zu weit, es ging konsequent bergauf. Mit dem Schwenk über die Straßenbahnschienen auf die Promendenstraße begann der achthundert Meter lange Bergauf-Sprint in ZIEL. Fünfundert Meter vorm Strich schob ich mit Vollgas hinein und lag vorn. Doch dann kam die Konterattacke von Großegger... Ein Geist, der laut „Rad-net“ zuvor nur ein Radrennen bestritten hatte - die Meisterschaft 2018 an der Landeskrone - und der heute unterm Radar in einem Thüringer Trikot fuhr, wurde Landesmeister von Sachsen. Die Dominanz in der Deutschen Meisterschaft hatten Sportler aus Bayern, Berlin und Westdeutschland. Dopingkontrollen wurden nicht durchgeführt.
Finale
 
Bei der Rückgabe der Startnummern traf ich auf die Jedermann-Starter meines Dresdner SCs. Pascal Lutter wurde Zwölfter, Robert Benedix hielt sich im Mittelfeld. Volker Rheingans, ein Freund aus DDR-Zeiten, eroberte einen dritten Platz. Nur Jonas Soucek, mit dem ich zuletzt hart trainiert hatte, mußte nach der ersten Runde demoralisiert aufgeben. So sah ich zusammen mit Harti Goldbach, Jonas und der mit großem, schwarzem Hut als mystische Waldfee erschienenen Peanut bei Kuchen und Bier vom Streckenrand die nachfolgenden Rennen. Welch´ ein Tag hätte das werden können...
 
 
Vitus, 6. Juli 2022, Bilder: Peanut, Stefan Bradl, Florian Gärtner
 
.:: ZAHLEN UND ZEITEN ::.
Wetter: sonnig, 21ºC, mäßiger Südwind (21 km/h)
 
Typ: Straßenrennen
Länge: 52 km
 
Im Ziel: 214 (Masters 2: 32, Masters 3: 50, Masters 4: 38, Jedermann U40: 37, Jedermann Ü40: 24, Jedermann Ü50: 22, Jedermann Frauen: 11)
 
Deutsche Meisterschaft Masters 4 (52 km)
Meldungen:
52
Am Start: 40
Im Ziel: 38
1. Heiko Gericke (RSC Kempten) 1:23:02
2. Uwe Kiefl (RSV Werner Otto Berlin) + 0:01
3. Jürgen Sopp (RSV Düsseldorf-Rath/Ratingen) + 0:11
4. Michael Pfeil (RV Blitz Spich) + 0:41
5. Achmed Goltzsche (RC Riesa) + 1:51
6. Hajo Drees (HRC Hannover) + 2:03
26. Vitus (Dresdner SC 1898) + 8:33
 
Landesmeisterschaft Sachsen Masters 4
1. Achmed Goltzsche (RC Riesa) 1:24:54
2. Henry Schwarz (Picardellics Veloteam Dresden) + 0:41
3. Klaus Müller (Team Isaac Torgau)
4. Marco Großegger (SC DHfK Leipzig) + 6:25
5. Mario Voland (Dresdner SC 1898) + 6:27
6. Hartmut Goldbach (Dresdner SC 1898) + 14:25
 
Ergebnisse

Rad-net
 
Rennen der Jedermannklasse aus einer Bordkamera
Rund um die Landekrone