43. GRAND PRIX BAD HOMBURG
31. Juli 2022
Prolog
 
Gölz, Kappes, Wüst, Risi, Heppner, Hondo, Petacchi, Martin, Wegmann, Degenkolb, Geschke, Buchmann, Politt...: Die Liste der Sieger beim Großen Preis von Bad Homburg seit der Erstaustragung 1979 ist lang und ruhmreich. Nach zwei Jahren Pause und Umbenennung in „Grand Prix“, standen heute vier Profis am Start, die vor einer Woche noch auf den Straßen Frankreichs unterwegs waren und letzten Sonntag das Ziel auf den Champs-Elysees in Paris sahen: Nils Politt (Bora), John Degenkolb (DSM), Simon Geschke (Cofidis) und Jonas Rutsch (EF). Der gemeldete Max Walscheid (Cofidis) trat nicht an. Im Rahmen des dreiwöchigen Kulturprogramms „Bad Homburger Sommer“ mit Kaffeehausmusik, Freiluftkino und Sommernachtsbällen, stieg für sie eins der klassischen Kirmesrennen im Nachklapp zur Tour de France.
.:: DIE STRECKE ::.
Das ultimative Kriterium von Hessen findet in Bad Homburgs Kurpark statt, der 1989 durch das tödliche Minenattentat der RAF auf den Deutsche-Bank-Boss Herrhausen traurige Berühmtheit erlangte. Die erste Hälfte ging´s runter, die zweite rauf. Von der Kaiser-Friedrich-Promenade führte glatter Asphalt mit leichtem Gefälle über den Schwedenpfad und den Paul-Ehrlich-Weg hinunter zum Tennisclub. Durch das Geschlängel der Kisseleffstraße ging es zurück auf die Kaiser-Friedrich-Promenade und damit auf die ansteigende Zielgerade mit dem Zieltor am höchsten Streckenpunkt direkt vor der Wicker-Klinik. Dreißig Mal mußten die Fahrer der Masters 4 über den 1,6 Kilometer langen Parcours im Herzen der Stadt jagen, ehe nach 48 Kilometern der Sieger feststand. 48 Kilometer pures Adrenalin!
.:: DAS RENNEN ::.
Nach nicht mal vier Stunden Schlaf war ich um halb vier wach. Im Grunde hätte ich die acht Kilometer Luftlinie mit dem Rad fahren können. Aber mein Mädel wollte mitkommen und sich an alte Zeiten erinnern: Anfang der Achtzigerjahre hatte sie zusammen mit ihrer Schwester direkt am Wettkampfort in der verlängerten Kaiser-Friedrich-Promenade die erste eigene Bude bezogen: ein winziges Zimmer in einer alten Villa... Halb neun in der Früh hatten wir mit dem Auto das zwischen dem Taunusgebirge und Frankfurt am Main eingekeilte Bad Homburg vor der Höhe erreicht. Den Auftakt der Kurparkrennen bildeten zwei Wettbewerbe des Nachwuchses. Nachdem die Jugend mit fünf (!) Startern und die Schüler mit acht (!) Startern in der frischen Morgenluft leicht und unbeschwert um die Ecken fuhren durften, schlug um zehn die Uhr der alten Garde. Deren Rennen verlief etwas diffizieler...
Einundsechzig Mastersfahrer drängten sich mit Messern zwischen den Zähnen in den Startlöchern auf der Kaiser-Friedrich-Promenade - bei gemeinsamem Start und getrennter Wertung. Masters 2 und 3 hatten vierzig Runden zu bewältigen, für die Masters 4 war nach dreißig Schluß. Jede vierte Runde wurde um Punkte gesprintet, in unregelmäßigen Abständen wurden Prämien ausgefahren. Einen rechten Durchblick hatte wohl niemand. Immerhin erkannten sich die verschiedenen Altersklassen anhand schwarz, blau und rot aufgedruckter Startnummern. Danach gab es statt Geld oder Punkten nur noch Geballer... Nach einem START im Mittelfeld sprang in der dritten Runde beim Anbremsen mein Hinterrad weg. Anschließend hatte ich das Gefühl, daß sich der frisch aufgeklebte Schlauchreifen von der Felge löst. Das Rad schlingerte, aber ein sorgenvoller Blick nach unten sagte: alles in Ordnung. Das Vertrauen ins Material war indes futsch. Doch es kam noch schlimmer: Mein Getränk war zu dick mit Kohlenhydraten angerührt, die Finger klebten regelrecht am Lenker fest. Den Rest besorgte eine miese Verfassung: Das letzte Rennen lag vier Wochen, das letzte Bahntraining anderthalb Wochen zurück. Mir fehlte es massiv an Speed und mangels Rennen auch an Disziplin und Antrieb. Also fuhr ich defensiv und ohne Streß am Schwanz des Fahrerfeldes rum. Allein der Verbleib im Peloton mit Jahrzehnte Jüngeren war ein Erfolg. Einer nach dem anderen flog hinten raus. Darunter der Torgauer Mülller, der am Vortag Fünfzehnter bei einem Rundstreckenrennen in Offenbach wurde, und nach einem Schwächeanfall am heutigen Tag ruhmlos nach Sachsen zurückkehren mußte. Im Verlauf war ich gefühlt unter die ersten Sechs meiner Kategorie vorgedrungen. Während alle paar Runden die Glocke für einen Wertungssprint oder eine Prämie läutete, erwähnte der Sprecher jedoch eher beiläufig die vorletzte Runde für die Masters 4. Derweil die Masters 2 und 3 harte Positionskämpfe um den nächsten Sprint führten, ging es für uns nach dreißig Runden schon um alles. Sämtliche Fahrer verschwamm zu einer undurchschaubaren Masse, die im Sekundentakt ins ZIEL raste. In der Ergebnisliste entdeckte ich meinen Namen mit sieben Sekunden Rückstand aufs Treppchen an der elften Stelle. Die Zeiten und Platzierungen wurden mit einem neuen System über einen Transponder an der Gabel erfaßt, die 48 Kilometer mit einem 42er Stundenmittel zurückgelegt - nur drei langsamer als die Profis. Dopingkontrollen wurden nicht durchgeführt.
v.o.n.u.:
Feld der Masters
Vitus
Dege Degenkolb
Simoni Geschke
Finale
 
Nachdem ich mit Peanut im abgelebten Kurviertel bei Kaffee und Kuchen die Zeit totgeschlagen hatte, und nachdem endlich auch das Jedermann- und Laufradrennen vorbei waren, begann halb zwei die Präsentation der Profis und Elitefahrer. Robert Bengsch vom TV-Sender Eurosport stellte pro Mannschaft ein oder zwei Fahrer vor. Die großen Vier kamen zum Schluß: der von Degenkolb liebevoll als „Ekelfahrer“ bezeichnete Odenwälder Rutsch; der schmächtige „Bergkönig der Herzen“, Geschke aus Berlin; der mit Startnummer 1 und Meistertrikot angetretene Kölner Politt, und zu guter Letzt der muskelstrotzende „Dege“ Degenkolb aus dem angrenzenden Oberursel-Bommersheim. Von meinem Dresdner SC sollte Eric Lutter für P&S Benotti starten - fuhr dann jedoch ein Rennen in Polen. Wir verfolgten die Startphase mit den ersten Wertungen des Eliterennens. Dann waren uns das Gedrängel, die Begleitmusik und die aufkommende Hitze zu groß. Halb drei sind wir getürmt. Im Speckgürtel von Frankfurt - wobei Bad Homburg zu den reichsten Städten Deutschlands zählt - wurden Preisgelder und Prämien gezahlt. Für manchen wurde Bad Homburg zu einer kleinen Goldgrube. So erhielt jeder Sieger 75 Euro in cash (auch der erste der fünf Schüler und der erste der acht Jugendlichen). In den Runden 3, 8, 18 und 28 wurden 25, 15 und 10 Euro Prämie ausgefahren, bis zum dreizehnten Platz gab es Zielprämien. Der Gewinner der Masters 4 sackte 135 Euro ein. Geschke heimste als Sieger bei den Profis 550 Euro ein. Politt wurde Zweiter und erhielt 450 Euro. Degenkolb erspurtete als Dritter 475 Euro. Rutsch durfte sich als Vierter mit 300 Euro an Prämien trösten. Die Antrittsgelder bleiben geheim. „Dege“ wollte nach dem Rennen die paar Kilometer mit dem Fahrrad heimfahren. Zuhause in Frankfurt zeigte unser Thermomter 41 Grad in der Sonne an. Ich hatte Blut im Urin.
 
Danke
Peanut! Für Begleitung, Betreuung, Bilderdienst - für alles!!
Organisator Janovszki für netten Kontakt und nachträgliche Auszahlung von 10 Euro Zielprämie
 
 
Vitus, 4. August 2022; Bilder: Peanut
.:: ZAHLEN UND ZEITEN ::.
Wetter: sonnig, 22ºC, leiser Luftzug aus Nord (9 km/h), 64% Luftfeuchtigkeit
Typ: Kriterium
Länge: 48 km
Zuschauer: mehrere Hundert
 
Meldungen: 169 (Elite: 59, Masters 2: 16, Masters 3: 26, Masters 4: 19, U17: 7, U15: 4, U13: 3, U11: 5, Jedermann: 30)
Im Ziel: 139 (Elite: 46, Masters 2: 14, Masters 3: 25, Masters 4: 16, U17: 5, U15: 4, U11: 4, Jedermann: 25)
 
Masters 4
Meldungen:
19
Am Start:
19
Im Ziel: 16
1. Bernd Schmelz (KSV Baunatal) 1:09:08
2. Marco Großegger (SC DHfK Leipzig)
3. Andreas Braun (RV Badenia Linkenheim) + 0:00:04
4. Karl-August Klinkert (RV Endspurt 08 Wuppertal) + 0:00:05
5. Rüdiger Conrad (Harburger RG)
6. Jürgen Sopp (RSV Düsseldorf-Rath/Ratingen) + 0:00:06
11. Vitus (Dresdner SC 1898) + 0:00:11
 
Ergebnisse und Prämien
Ma:xx Timing