RUND UM DAS STADTTHEATER
Gießen, 15. September 2019
Prolog
 
Nachdem ich beziehungsbedingt am Tag nach dem letzten DSC-Bahncup in Heidenau die Stadt wechseln mußte, trafen Anfang der Rennwoche schlechte Kunden aus Dresden ein: Erst informierte DSC-Chef „Decko“ die Sportler, daß „der SSV Heidenau kurzfristig mitgeteilt hat, daß in dieser Woche aufgrund Fugensanierung kein Training und Wettkampf auf der Bahn stattfinden kann“. Und dann teilte er mir auch noch mit, daß der DSC „nicht am Radrennen am 15. September in Halle-Lochau teilnimmt, da sich außer mir keiner für Halle gemeldet hat“. Damit waren das angepeilte Rennen und meine Rückreise nach Dresden geplatzt, das bereits gekaufte Bahnticket ein Fall für die Tonne. Ich hatte nicht nur den Kontakt zum Verein verloren, auch das Kapitel „Radsport“ schien wie abgehackt...... Allerdings wollte es das Schicksal, daß in der Zeit ausgerechnet am anderen Wohnort im Westen eins der ultrararen Lizenzrennen stieg: das vermeintlich früheste noch existierende Radrennen Hessens überhaupt: Rund um das Stadttheater, ein Rundstreckenrennen über 48 Kilometer. Peanut schlug vor, daß sie mich bequem im Volkswagen hinbringt. Ohne dieses Angebot wäre Gießen ohne mich gelaufen.
.:: DIE STRECKE ::.
Anstelle von „Rund um das Stadttheater“ hätte das Rennen auch etwas sinnlicher „Rund um den Theaterpark“ oder „Rund um den Kirchturm“ heißen können. Denn von der Johannesstraße im Norden wand sich die Strecke durch die Neuen Bäue, die Südanlage und Goethestraße zurück zur Johannesstraße immer an den Außenflanken des Theaterparks und an der Jonneskirche entlang. Aus der Vogelperspektive glich sie einem Ovalkurs von 800 Metern mit zwei kerzengeraden Endlosgeraden und einer engen und einer weiten Kurve, der je nach Rennen fünfzehn bis siebzig (!) mal zu fahren war. Und zwar ungewohnt rechtsrum. Im Unterschied zu den Vorjahren entschied diesmal ferner der finale Zielsprint über den Sieg und nicht mehr - wie beim klassischen Kriterium - die Summe der Punkte aus den Wertungssprints. Es wurde also auf Endspurt gefahren. Prämienspurts hielten die Rennen interessant und das Tempo pausenlos hoch.
.:: DAS RENNEN ::.
Meine Form war bereits angekratzt, als ich zusammen mit dreißig anderen pünktlich um 11.20 Uhr bei stahlblauem Himmel ins Rennen geschossen wurde. START! Dazu saß ich auf meiner Trainingskarre mit mechanischer Schaltgruppe und Alulaufrädern. Die Schaltung war das kleinere Handicap, denn im Prinzip ließ sich die Runde auch mit einer Bahnmaschine fahren, also mit starrem Gang, ohne Schaltung und Bremsen. Zum Nachteil gerieten vielmehr die Alufelgen mit ihrer geringeren Steifigkeit und größeren Rotationsmasse, die sich bei jedem Herausbeschleunigen aus der Kurve negativ auswirkten. Was mich natürlich wahnsinnig ärgerte. Zehnmal fährt man ein Loch zu - beim elftenmal fehlt die Kraft. Nach zehn Runden war die Meute in zwei Gruppen gespalten. Während sich aus der achtköpfigen Spitzengruppe im weiteren Verlauf noch vier Fahrer nach vorn absetzten, ging der Blick für mich eher ins Hinterfeld. Zehn Schleifen lang konnte ich mit über vierzig Stukis durch die Botanik rattern. Aber von da bis zum Ziel war es ja noch ein ganzes Wegstück und das sollte enorm anstrengend werden... Und leider mußten die Masters-3-Fahrer wie so oft gegen die viel jüngeren der Masters 2 fahren. Ein dickes Fragezeichen setze ich ferner hinter die Kugelblitze aus Bonn, die ihre Muskelberge bestimmt nicht mit Buttermilch pimpen. Peanut meinte: „Wenn man nach den Figuren deiner Rennkameraden geht, würde ich sagen, die meisten sind reine Sprinter!“ Zwar wurde ein Herr mit oranger Weste und dem Aufdruck DOPING KONTROLLE gesichtet, doch handelte es sich hier offensichtlich um einen wahren Schelm. Chancengleichheit war wieder mal etwas anderes. Nachdem ein Dutzend wegen Schwäche, Defekt oder Sturz aufgab, trudelte ich als Siebzehnter insgesamt und als Fünfter der Masters 3 ins ZIEL. Selten schmerzten meine Oberschenkel im Ziel so wie nach dem Stadttheaterrennen. Auf den deutlich jüngeren Sieger hatte ich drei Runden verloren.
Finale
 
Um Haaresbreite - und das ist wörtlich zu nehmen! - hätte dieser schöne Spätsommertag für uns ein böses Ende genommen. Wenige Kilometer von Zuhause war ein Motorradfahrer auf der Autobahn in Bad Homburg gegen die Mittelleitplanke gekracht, auf die Gegenfahrbahn geschleudert worden, und an den Verletzungen gestorben. Nur durch Peanuts Wendemanöver am Bad Homburger Kreuz waren wir als Geisterfahrer um wenige Meter einem gewaltigen Stau entkommen. Die Veranstaltung an sich war ein Erfolg. Die Zuschauer erlebten nicht nur Radrennfahrer. Dazwischen gingen auch Inline-Skater auf die schnelle Ellipse - in anderer Richtung als die Radsportler. Die Ohm-Speedskater richteten nicht nur zwei Wettkämpfe aus, sie unterstützten den Veranstalter RSG Gießen-Wieseck auch mit Helfern. Begleitet wurde der Tag ferner von Musik, denn die Misfits rockten den Platz am Sparkassenbrunnen. Für leibliches Wohl sorgten Stände mit Rennwurst, Kuchen und Bier. Sprecher und Beschallung trugen vielleicht etwas laut auf, dafür tickte die Organisation wie ein Uhrwerk. Von hochwertigen Programmheften und Handzetteln über sturzentschärfende Kunststoffbanden, die minutios eingehaltenen Startzeiten aller neun Rennen zwischen 9.00 und 16.45 Uhr (!), bis hin zur korrekten Erfassung der Ergebnisse: Heute schien alles perfekt. Bei 10 Euro Startgeld wurden Prämien zwischen 20 und 30 Euro ausgefahren und erhöhte Preisgelder gezahlt. Bei nicht mal zweihundert Teilnehmern und einem Ringelpiez auf engstem Raum, fragt man sich, wie das funktionieren kann. Gießen war ein Vorbild für ein Radrennen, bei dem der Sportler würdig behandelt wurde. Und das war zuletzt nicht immer der Fall. Dopingtests wurden allerdings nicht durchgeführt!
 
Dankesworte
Peanut! Für Fahrservice, Begleitung, Betreuung, Bilderdienst - für alles!!
 
 
Vitus, 17. September 2019, Bilder: AW & FS-Radsportfotos, Peanut
.:: ZAHLEN UND ZEITEN ::.
Wetter: sonnig, 17 bis 20ºC, mäßige bis frische Böen aus West (20 bis 36 km/h)
Typ: Rundstreckenrennen
Länge: 48 km
 
Voranmeldungen: 133 (CT + Elite-Amateure: 25, Amateure + U19: 45, Masters 2 + 3: 17, Jedermann: 5, U17: 5, U15: 10, U13: 22, U11: 4)
Im Ziel: 90 (CT + Elite-Amateure: 21, Amateure + U19: 22, Masters 2 + 3: 18, U17: 6, U15: 7, U13: 11, U11: 5
 
Masters 2/3
Am Start:
30
Im Ziel: 18
1. Alexander Koop (RV 1904 Gießen Kleinlinden)
2. Ulrich Strothmann (RT Campus Bonn)
3. Christian Schmidt (RSG Gießen und Wieseck)
4. Frank Erk (RSC Ladenburg 2000)
5. Jörg Winzen (RT Campus Bonn)
6. Kent Wilhelmi (RV 1899 Hochheim)
17. Vitus (Dresdner SC 1898)
 
Ergebnisse

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