WILD BOAR WARS IV
 
ULTHA, ALKERDEEL, ISKANDR, NICHTUNG, TERZIJ DE HORDE, BECULTED
D-Frankfurt am Main, Das Bett - 11. Dezember 2022
Sonntag, 11. Dezember (2. Tag)
 
Stilistisch war der zweite Tag des „Wild Boars“ für uns schwer zugänglich. Außer Beculted und Iskandr drohte nur Black Metal. Im Grunde war ich auf einen Abend mit stundenlangem Löcher-in-die-Luft-Gucken und Gläserrücken (ein Fünfer fürs frischgezapfte Duckstein-Weizen) gefaßt. Doch manchmal wird es ja anders... Bei wiederum Winterwetter erwarteten uns im „Bett“-Klub nicht nur arktische Einödnis, es war auch sibirisch kalt darin. Eine Bardame hatte sich ein Handtuch als wärmenden Poncho übergeworfen. Das sonnabendliche Partyvolk fiel heute weg. Auch der Murmler-Micha, der tags zuvor noch so große Stücke auf Gruppen aus Belgien und den Niederlanden hielt, sowie der gebrechliche Urfaust-Fan Guido fehlten. Anscheinend kamen nur die hundertfünfzig Inhaber eines Festivaltickets, der harte Kern der Frankfurter und Offenbacher Metalszene, darunter Ex-Pornoheft- und Weiche-Gitarrist Sif Dishes.
Leise Hoffnung hatte ich für BECULTED. Beculted versprachen verzweifelten wie meditativen Black Doom - und hatten „unnahbaren Black Doom“ gespielt, unvermummt, wie Mitorganisator Till mir verriet. Dummerweise fand ich zuvor heraus, daß zwei der vier Mitglieder bei Brache, einem Depressive-Post-Black-Metal-Kollektiv mit schwierigem Hintergrund aktiv sind. Die Gruppe aus der Darmstädter Szene hatte den einzigen weiblichen Akteur des gesamten Festivals in ihren Reihen. Nach dem Auftritt stand Paula mit abrasiertem lila Haar am Stand von Beculted. Ein Konzert mit Beculted wäre für mich wohl wie Sex mit einer Feministin gewesen.
 
TERZIJ DE HORDE hatten einen Namen im niederländischen Black Metal. Doch als ich mit Frau Peanut im Bett eintraf, waren sie schon verschwunden. Etliche Besucher trugen Shirts der Horde. Seb, unser Bekannter aus der Vornacht, war erneut aus Wiesbaden angereist, heute mit seinem Kumpel Janick im Schlepp. Er berichtete von „Soundproblemen“, aber daß die Niederländer letztlich „ganz ordentlich“ waren. Till sprach von „endlos langen Blastbeat-Passagen“ und ehrlich durch die Blume gesagt von „Hipster-Black-Metal“.
Von null auf hundert: Eben noch durch die weiß gezuckerte Kulisse von Frankfurt gestiefelt, wurden wir im Bett auf den Black-Metal-Trip katapultiert. NICHTUNG war das Ergebnis dreier unter Nebel, Masken und Kapuzen Verborgenen, die dem Gestalt gaben, was auf die Deathmetaller Unheil und den Brutal-Death-Metal-Goregrind-Trupp Al Goregrind folgen könnte. Unheil hatten wir vor fünfzehn Jahren im Frankfurter Metalklub „Die Halle“ (R.I.P.) erlebt. Damals trug der Kahlkopf an der Front schlichtes Schwarz und Thors Hammer um den Hals. Auch anderthalb Dekaden später verströmte O. Bursa als Dreizentnerschrank eine ungeheure körperliche Präsenz. Der Dreibund aus dem südhessischen Seligenstadt kredenzte doomigen Black Metal mit obskuren germanischen Titeln, in denen immer das Wort „Nichtung“ vorkommt. „Wir sind die Nichtung“, lautete auch die Vorstellung nach dem ersten Lied. Nichtung waren stark verwurzelt in der kalten Trostlosigkeit des Black Metal und zugleich beeinflußt vom monotonen Dröhnen des zeitgeistigen Dooms. Sowohl die Erscheinung als auch die von hellen Keiflauten unterlegte Musik hinterliessen Unbehagen und Verlorenheit. Im Nachhall an der Bar redeten drei in Motorradkluft noch lange über diesen Auftritt: Nichtung.
Ein Mann, eine Gitarre, eine Rassel und ein geheimnisvolles grünes Zauberelixir, das er trank. ISKANDR aus Nijmegen war der Lichtbringer in mehrerlei Hinsicht. Die unvernebelte Bühne öffnete den Blick aufs Geschehen. Über eine Leinwand flackerte die heile Welt aus Natur und Tieren, Flüssen und Insekten. Dazu lieferte der Langhaarige im spirituellen Siebzigerjahre-Hemd eine poetische Vorstellung, die im Dunst von Postrock und den Depressive-Black-Metallern Dool wehte, bei denen er ist, und die mit ihrer empfindsamen, ruhigen Ausstrahlung und dem rein niederländischen Gesang an die Doomer Akelei erinnerte. Iskandr brachte neben geistiger und körperlicher Entspannung auch etwas Wärme fürs Herz. Die konnten wir gut gebrauchen, denn davor und danach tobte Infernalisches. Umso größer war die Bewunderung für Gitarrist und Sänger Omar, der ohne seinen Trommler Mink - mit einer Drum-Maschine - gekommen war. O spielte den Solitär mutig, natürlich und sehr überzeugend. Respekt für diesen starken Typen!
Belgiens ALKERDEEL waren ein weiterer Akt aus unserer westlichen Nachbarwelt. Doch jetzt prallten Welten aufeinander. Nach der Devise „Hier geht niemand lebend raus“ brach die Hölle aus dem milchigen Dunst und grellen Gelichter hervor. Ab acht Uhr wurde gemetztelt, zerstört, zerfetzt und der Kopf weggesprengt. Durchweg Geschrei wie am Spieß konglomerierte mit raserischen, rohen Instrumenten zu einem heillos brutalen Black Metal moderner Machart (oder Neuer Flandrischer Kunst). Jeder Titel lief gleich ab. Doch je länger die Vier mit den Decknamen Pede, Pui, QW und Nieke in der Lärmschleife hingen, desto zermürbender und verheerender wurde der Auftritt. Spätestens nach fünf Minuten segneten die Lieder das Zeitliche - und alles ging wieder von vorne los. Aber alles hat seine Zeit... Alkerdeel erlebten natürlich alles anders und ließen mich wissen: „Das war einer der besten Abende dieses Jahr, wir hatten viel Spaß!!!!“
Wenn Nebel aufziehen, kommen immer neue böse Kreaturen. Auch die letzten waren mit messerscharfen Apparillos bewehrt, sangen keine menschliche Sprache, und doch verstand man sie. ULTHA spielten Black Metal und verschwanden nach einer Dreiviertelstunde - und nahmen manchen den Verstand. Um neun hatte sich Germanias mutmaßlich führendes Black-Metal-Kommando in Stellung gebracht - um seine philosophische Saga über Entscheidungen im Leben, Zweifel, Ängste und Verlorenheit, und den Tod als das Ende des irdischen Elends zu inszenieren. „Danke an Taunusmetal und Freund-innen. Das ist unser letztes Konzert für diesjahr. Rotlicht an und ab!“, lautete die Begrüßung durch Chefdenker R. Im Unterschied zu Alkerdeel kitzelten die Kölner ein paar neue Ideen heraus. Zu einem Schuß Avantgarde im Stil von Wolves in the Throne Room gesellte sich ein entschleunigtes, geradezu emotionales Ende. Um zehn waren alle tot. Außer die Wiesbadener Ultha-Anbeter Seb und Janick, die sich mit verschwitzten, strahlenden Gesichtern von uns in die Nacht verabschiedeten - „bis zum nächsten Konzert mit Saint Vitus“ (so der liebe Gott das will).
.:: ABSPIELLISTEN ::.
 
BECULTED
(15.15-??.??)
Unbekannt
 
TERZIJ DE HORDE
(16.15-??.??)
Unbekannt
 
NICHTUNG
(17.40-18.15)
1. Vernichtungszauber
2. Darth Todbringer / Nichgestallt
3. Nichtungsschrei Horn
4. Epiphanichtung
5. Hagelnichtung
 
ISKANDR
(18.45-19.26)
Unbekannt
 
ALKERDEEL
(20.00-20.50)
1. Vier
2. Regardez ses yeux III
3. Zop
4. Dyodyo Asema
5. Trok
 
ULTHA
(21.14-22.03 / Titel ohne Gewähr)
1. Dispel
2. Der alte Feind (Jeder Tag reißt Wunden)
3. Bathed in Lightning, Bathed in Heat
4. He Knew and Did Not Know
5. Carrion (To Walk Among the Spiders)
6. Haloes in Reverse
7. Rats Gorged the Moon... And All Fell Silent
8. Unholy Passion [Samhain]
9. Fear Lights the Path (Close to Our Hearts)
Epilog
 
Obwohl manche Gruppen nicht unsere Welt waren, blieb das Wild Boars als herzige, untergrundige Geschichte in unseren Gehirnen. Viele Metalheads, die wir lange nicht gesehen hatten, trafen wir im Bett wieder. Sind wir froh, daß es Idealisten wie jene vom Taunusmetal gibt. Ein lautes Hail! an alle Gleichgesinnten und Langhaarigen, die letzten ihrer Art!.
 
 
>> WILD BOAR WARS IV, TAG 1 <<
 
 
Heiliger Vitus, 17. Dezember 2022, Bilder: Vitus und Peanut