34. BERLIN-MARATHON, 30. September 2007
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AUFBAUKÄMPFE
Sonnenwendlauf durch die Niddaauen (10 km), 21.6.07
Karbener Halbmarathon, 12.8.07
Mühlheimer Halbmarathon, 2.9.07
STRECKE ¤ VORBEREITUNG ¤ MARATHON ¤ STATISTIK ¤ BILDER
Zwei Mücken, zwei Superstars und zwei wandelnde Katastrophen
 
 
Im allgemeinen Überschwang von London und mancher Pint Ale hatten wir noch in England neue Pläne fürs nächste „World Major“-Spektakel entworfen. Berlin und London waren gewuppt, fehlten die in Amerika: Boston, Chicago und New York. Da New York (November 2007) ausverkauft und Boston (April 2008) zu langfristig war, blieb als Nahziel nur Chicago im Oktober 2007. Es waren aber nicht die Wolkenkratzer, sondern Mondpreise, die uns (vorerst) abschreckten. Und dann war da auch noch der sportliche Gesichtspunkt: Warum also nicht einen Angriff auf den persönlichen Rekord starten? Berlin hat mit das schnellste Pflaster von der ganzen Erde, wir kennen die Stadt, haben kaum Reisestrapazen und sparen Kosten. Am 8. Mai stand die Entscheidung: Auf nach Osten!
 
.:: DIE STRECKE ::.
42 Kilometer im Uhrzeigersinn. Der Start erfolgt westlich vom Brandenburger Tor in der Lunge der Millionenstadt, dem Großen Tiergarten. Auf flachen und ausladenden Asphaltchausseen und nahezu ohne Rhythmusbrechung führt die Strecke durch die Ortsteile Tiergarten und Moabit, dann durch Mitte nach Kreuzberg, weiter über Schöneberg und Friedenau bis nach Schmargendorf, und schließlich über Wilmersdorf und Charlottenburg wieder bis Mitte. Zurück in Tiergarten findet das Rennen nach dem Durchlauf unter der Victoria sein grandioses Finale. Neben den verschiedenen Gesichtern der Stadt werden die Wahrzeichen Siegessäule, Reichstag, Fernsehturm, Kurfürstendamm, Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche, Dom und Unter den Linden gestreift, und nicht weniger als acht Brücken überquert. Dabei herrscht Hochbetrieb am Straßenrand: eine Million Schlachtenbummler tragen die Läufer ins Ziel. Womit man hierzulande zu dieser Jahreszeit aber immer rechnen muß: Hitze! Daß die Schleife durch Berlin trotzdem äußerst schnell ist, davon zeugen sechs Weltrekorde:
 
1977 - Christa Vahlensieck (Deutschland) 2:34:48
1998 - Ronaldo da Costa (Brasilien) 2:06:05 (erster Mensch über 20 km/h)
1999 - Tegla Loroupe (Kenia) 2:20:43
2001 - Naoko Takahashi (Japan) 2:19:46
2003 - Paul Tergat (Kenia) 2:04:55 (erster Mensch unter 2:05 Std.)
und...
2007 - Haile Gebrselassie (Äthiopien) 2:04:26
 
.:: DIE VORBEREITUNG ::.
Das Programm für Berlin 2007 bestand aus 16 Wochen, die sich in drei Phasen gliederten:
 
1. Die Vorbereitungsphase I, das Ausdauertraining ohne intensive Reize zur Erlangung der zur Energiegewinnung notwendigen Stoffwechselfähigkeit (Dauer: 4 Wochen), bestritten wir nach einer Beilage des Laufmagazins Runners World, die speziell für Berlin erstellt wurde.
2. Die Vorbereitungsphase II, das Ausdauertraining mit intensiven Reizen zur Erhöhung der Muskel- und Organkraft und damit der Verbesserung der Tempohärte (10 Wochen), sowie
3. Die direkte Marathonvorbereitung, die durch geringe Umfänge mit nur einigen Vorbelastungen die Kraft kommen läßt (2 Wochen), mit der virtuellen Laufgruppe
Greif.
 
 
Das LAUFTAGEBUCH vom 11. Juni bis 30. September:
 
 
1. Wo. (78 km): Der weite Weg begann im Hochsommer. Dampfluft mit Blitz und Donner trieben den Schweiß in Sturzbächen aus den Poren. Das Programm der Runner´s World sah für die Ambitionierten (Ziel zwischen 3:00 und 3:30 Stunden) drei lockere Dauerläufe, ein Fahrtspiel, ein Bergtraining und einen längeren Dauerlauf von 120 Minuten vor. Mangels Erhebungen in Frankfurt habe ich die Berg- durch 1000-Meter-Intervalle ersetzt, und aus Zeitnot die drei kurzen zu zwei mittellangen Dauerläufen zusammengelegt. Zudem versuche ich die Schrittfrequenz auf die erfolgsverheißenden 180 pro Minute umzustellen. - Peanut hingegen durfte sich am 13. Juni beim Firmenlauf JP MORGAN CHASE CORPORATE CHALLENGE mit 67
 270 Kollegen durch Frankfurt quetschen, und damit auf die übervölkerte Erde in vierzig Jahren einstimmen. Den Pflichtauftritt über die 5,6 Kilometer schaffte sie in selbstgestoppten 32 Minuten.
 
2. Wo. (88 km): Die Sommersonnenwende besagt den längsten Tag und die kürzeste Nacht im Jahr. Sonne und Mond haben zur Solstiz die größte Strahlkraft und können ganz besondere Kräfte freisetzen. Manche huldigen dem mittsommerlichen Ereignis mit kultischen Festen - manche mit einem Lauf ins Abendrot... Am 21. Juni hatten wir den 3. SONNENWENDLAUF DURCH DIE NIDDAAUEN angepeilt. Zuckende Blitze und monsunartiger Regen ließen den Sonnenkult jedoch ins Wasser fallen. Die Unwetter hatten das Nordufer der Nidda, auf dem der Lauf stattfinden sollte, überschwemmt. 3 ½ Stunden vor Kampfbeginn gab die Organisation bekannt: „Aufgrund der Regenfälle müssen wir den Lauf absagen! Die Niddaauen stehen voller Wasser und es ist zu gefährlich dort im Moment zu laufen. Schade... wir hatten uns soviel Mühe gegeben. [...] Wir haben uns wegen der Unfallgefahr - rutschiger Niddauferweg - dazu entschliessen müssen, den Lauf abzusagen. Wir haben es uns nicht leicht gemacht; wenn Sie einen kleinen privaten Lauf machen wollen (auf der linken Uferseite in Richtung Frankfurt - da ist es o.k.), laden wir Sie gerne ein und haben auch eine kleine Überraschung für Sie bereit.“ Gesagt, getan. Eine Stunde vorm Start habe ich die Strecke besichtigt und fand keinen Grund für eine Rennabsage. Nachmittags war es aufgeklart und das Wasser weitgehend versickert. Aber Entscheidungen sind menschlich und oft unergründlich. Zum Trost spendierte die Orga allen Angereisten einen Korb mit Obst und Energieriegel.
 
3. Wo. (88 km): „Fisch schwimmt, Vogel fliegt, Mensch läuft.“ Als Emil Zatopek diese schlichten Worte sprach, war das Leben noch eins mit der Natur. Die moderne Zeit ist es nicht mehr. Oft müssen Sportler ihre Tage in der geschloassenen Welt eines Arbeitsortes verbringen. Derweil draußen Bienen und Schmetterlinge durch die Luft summen, sitzen sie den ganzen Tag im vollen Büro, atmen Kunstluft und sind jeder freien Sicht und Bewegung beraubt. Bei acht Stunden in Schreibtischhaltung wird der Organismus vor große Probleme gestellt. Hier verkürzte, dort erschlaffte Muskeln; hier versteifte Gelenke, dort Streß und Zwänge, die auf die Seele drücken. Es erforderte etlicher Kilometer im Freien, das alles abzuschütteln, den Motor anzukurbeln und den Kopf zu befreien - bis „Mensch läuft“. Trotzdem war ich nach 250 Kilometern und zwei Läufen über 30 Kilometer auf dem Weg nach Berlin. Am 1. Juli kam es zu einer Berührung mit der Ironman-EM: Die Radstrecke zum „Heartbreak Hill“ von Vilbel überquerte unseren Laufweg an der Nidda. Peanut hatte ja schon vor Langem geunkt: „Du bist wie für den Iron Man gemacht!“
 
4. Wo. (81 km): Am 7.7.07 haben unter dem Aufruf „Arbeit statt Dividende! - Volkgsgemeinschaft statt Globalisierung!“ 600 Neonazis die antikapitalistischen Forderungen des Nationalen Widerstandes auf die Straßen unserer Frankfurter Wohn- und Trainingsorte Rödelheim, Hausen und Bockenheim getragen. 3000 Linke wollten die Kundgebung stören; 8000 Polizisten in gepanzerten Uniformen sorgten für Sicherheit. Das wahre Übel - die dicken Fressen von Multikriminell, Hochfinanz und Obrigkeit - hat es nicht weiter berührt.
 
5. Wo. (110 km): „Hast du schon Erfahrung mit Wiederholungsläufen?“ Diese Frage von Peter Greif vermittelte nichts anderes als den Beginn der Vorbereitungsphase II. Der Punkt, an dem man sich drei Monate lang sechs Mal die Woche zum Knecht einer Stoppuhr macht. Hieß: Wir bestritten die kurzen, harten Knochen samt den langen Knüppeln erneut nach den Anleitungen der lächelnden Läuferlegion aus dem Harz. Neu dabei war das sogenannte „Ultrabreathe-Training“: Mittels eines „Lungentrainers“ soll sich bei täglich fünfminütiger Anwendung die Stärke und Ausdauer der Einatem-Muskulatur verbessern. Wie diverse andere Helferlein, betrachtete ich besagtes Teil aber als Ramsch der Neuzeit, der nur dem Umsatz dient. Am 9. Juli vermeldete Berlin den Anmeldeschluß. Die Obergrenze von 40
 000 Marathonläufern war erreicht.
 
6. Wo. (110 km): Der Sommer war zurückgekehrt. Das Thermometer erreichte in Frankfurt 35 Grad bei absoluter Windstille. Zu hart für einen gescheiten Dauerlauf und für alles Intensive. Einmal durch eine Trabpause der Haut den Wind entzogen, fieberte der Körper und in den Lungen rauschte das Ozon. Zum ersten Mal sprach meine Große über A u f g a b e. Auch meine Lust auf eine weitere Marathonvorbereitung neigte sich dem Ende. Andererseits braucht der Mensch Ziele (außer man ist frei wie der testosterongesalbte Märchenonkel Sinke-witz mit einem halben Milliönchen Jahresgage).
 
7. Wo. (107 km): Starte langsam und stirb schnell! Mit diesem Denkspruch sind weder die verdopten Tourteams von Astana und Cofidis, noch Rinderblutjunkie Rasmussen oder Fuenteszögling Contador gemeint. Nein, es geht um den Kampf gegen den Schlappschritt und die Verbesserung der Tempo-Variationsfähigkeit durch Tempoflex-Training. „Tempoflex“ sind 2000-Meter-Wiederholungsläufe, die langsam begonnen und in fünf Stufen bis über das angestrebte Renntempo gesteigert werden. Die höchste Geschwindigkeit muß dabei im Zustand der größten Erschöpfung erreicht werden. Voraussetzung für diese Läufe, die sekundengenau eingehalten werden müssen, ist eine Laufbahn. Frankfurt besitzt derer etliche. Hingen da nur nicht überall Schilder wie: „Privatsportplatz - Laufen verboten!“ oder „Nur für Mitglieder“. Womit wir diese Übungsform fast schon abgeschrieben hatten. Fast. Denn es gibt noch Menschen mit einer sozialen Ader. Wie die Fußballer der SG Praunheim, die uns die Nutzung ihrer Aschenbahn gestatteten: „Ihr könnt hier immer laufen, soviel ihr wollt.“
 
8. Wo. (115 km): Laufen auf der Bahn ist zermürbend, bringt aber Abwechslung und macht schnell. Der Herausstecher dieser Woche war ein 10-Kilometer-Tempoturn mit 17 x 400 Meter in 1:39 Min. mit je 200 Meter Temporeduktion, ein Dauerlauf aus zwei wechselnden Geschwindigkeiten also. Dabei mußte einerseits eine schnelle 10
 000-Meter-Zeit erzielt und dazu die vorgegebenen 400-Meter-Zeiten eingehalten werden. Bei der ersten Ausführung 2005 hatte ich mir dabei eine langwierige Muskelverletzung zugezogen. Zwei Jahre später bin ich die 17 Rundbahnen zwischen 1:34 und 1:39 Minuten gerannt und habe eine 10-Kilometer-Zeit von 43:20 Minuten erreicht. Damit war der Plan erfüllt. Peanut fiel durch Atemnot nach hinten etwas ab, lag aber noch in Nähe zum Greif-Plan. Die langen Runden erstreckten sich über 35 Kilometer (Peanut) und 40 Kilometer (Vitus).
 
9. Wo. (100 km): Acht Wochen lang keine geistigen Getränke. Ich mußte abspecken! Dazu eine erste Trainingskontrolle:
 
.:: DER 1. AUFBAUKAMPF ::.
 
18. KARBENER STADTLAUF, 12.8.07
(Halbmarathon)
Was wir nicht kennen fürchten wir, was wir fürchten vernichten wir!
 
Acht Wochen vor seinem Weltrekordversuch in Berlin hatte Haile Gebrselassie in 59:24 Min. den New-York-Halbmarathon gewonnen und war damit im Schnitt schneller als auf 21 Kilometern! Eine Woche darauf wollten wir mit dem Stadtlauf durch Karben nachziehen. Kurioserweise hatten wir diesen Halbmarathon dem Arbeitsgericht Nürnberg zu danken, das den unbefristet streikenden Lokführern weitere Arbeitsverweigerungen verbot und damit die Fahrt in die Wetterau ermöglichte. Die Räder konnten rollen für unser Endziel Berlin. Nachdem uns wie immer am zweiten Sonnabend im August ein Volksfest ums Eck den Schlaf geraubt hatte, waren wir pünktlich angetreten. „Was wir nicht kennen fürchten wir, was wir fürchten vernichten wir!“: Der Kabinenspruch der Fußballer des KSV Klein-Karben gab die Richtung vor.
 
Einerseits durften sich die Macher über eine Rekordbeteiligung freuen (558), zum anderen strahlte nach tagelangem Regen ausgerechnet zum Kampf die liebe Sonne aus allen Rohren. Um neun löste der Bürgermeister den Startschuß aus. Los ging´s mit dem „Kärber Berg“, einem Stich von 200 Metern, den es fünfmal zu bewältigen galt - und der einem spätestens bei der dritten Erstürmung ziemlich anzählte. Vorbei am Rathaus führte der Kurs weiter durch vier Gebiete von abwechslungsreichem Charakter: im ersten Viertel durch die Natur, darauf durch die Fabrik- und Lagerhallen von Groß-Karben, dann entlang einer Hauptstraße, und zum Schluß durch die Siedlung von Klein-Karben. Mit dem vorgeschalteten „Berg“ war die Runde für den Halbmarathon viermal zu absolvieren.
 
Beim ersten Durchlauf lag ich in Tuchfühlung zum Frankfurter Behle. Nachdem mich zwischendurch eine Handvoll überholt hatte, konnte ich zwei davon noch abfangen und damit den 3. Platz in der Altersklasse sichern. Zugleich war das mein erster einstelliger Rang in der Gesamtwertung einer Laufveranstaltung überhaupt. Der Sieg ging an Behle, in einer Zeit, die neun Minuten über Kursrekord lag und - nach zwinkerndem Bekunden des 49jährigen - „ausbaufähig“ ist. Einen neuen Rekord durfte Peanut feiern, die ihre alte Bestamrke um drei Minuten unterbot und das Rennen mit glühendem Schädel im Mittelfeld beendete. Ortskundige hatten über eine Wiese abgekürzt und ihr eine bessere Stelle genommen. Nach 2:16 Stunden beschloß Marathonclown Descombes den Ringelpiez durch Karben.
 
Schock für mich hinterm Strich: Ein Funktionär hatte mich ausfindig gemacht und in Kenntnis gesetzt, daß ich nicht in der Wertung sei. Ich war durch die falsche Zielgasse gerannt und hatte damit für die Zielrichterin eine neue Runde begonnen. Dank hiermit ans Team Endzeit, die das Ergebnis im fahrenden Büro korrigierten und die Listen bereinigten. Die Ehrungen mußten wir fallen lassen, da diese alles andere als „zeitnah zum Einlauf“ stattfanden. Damit blieb das rechte Treppchen leer.
 

ZAHLEN UND ZEITEN
 
Wetter: sonnig, 24ºC, leichter Wind
 
Teilnehmer am Start: 558 (HM, 10 km, 3000 m, 1000 m, 300 m, NW)
Teilnehmer im Ziel: 502
Halbmarathonläufer im Ziel: 206 (M: 170 / W: 36)
 
Männer
1. Bernhard Behle (Frankfurt) 1:24:21
2. Christoph Pfrommer (Darmstadt) 1:24:58
3. Peter Schneider (Frankfurt) 1:25:13
6. Kampfläufer Vitus (Frankfurt) 1:27:31 (PB, 3. M45, 7. Gesamt)
 
Frauen
1. Christiane Wilken (Hofheim) 1:26:45
2. Tina Rudolf (Nidderau) 1:36:33
3. Annette Hübner (Ortenberg) 1:41:27
13. Peanut (Frankfurt) 1:55:48 (PB, 9. W45, 125. Gesamt)
 
Ergebnisse

Team Endzeit
Der Kampf in einer BILDERTAFEL... anklicken............
10. Wo. (126 km): Mitten in der Hochphase mußte das Programm umgestellt werden. Zum einen steckte der nicht vorgesehene Semi noch in den Gliedern. Und dann gibt´s die Foster-Regel, die nach einem Halbmarathon 13 Tage Ruhe vorsieht. Um keine Verletzung zu riskieren, haben wir die intensiven 17 x 400 mit den extensiven 5 x 2000 Metern der Folgewoche getauscht. Daneben stand noch des Übungsleiters Lieblingseinheit, die 3 x 3000, bevor. Und sechs Wochen vor Berlin war auch beim 35-Kilometer-Lauf „Schluß mit Schontempo und Wanderläufen“: Ab 18. August trat die Endbeschleunigung auf den Plan. Nach ruhigem Beginn muß man auf den letzten drei Kilometern aufdrehen „bis die Muskeln fiepen“. Diese Temposteigerung wird in Drei-Kilometer-Schritten bis auf 15 Kilometer ausgedehnt. Ich hab sie nicht geschafft, bin dafür aber 40 statt 35 Kilometer gerannt. - - Post aus der Glockenturmstraße: die Anmeldebestätigungen. „Wir freuen uns, Ihnen mitteilen zu können, daß Sie als Teilnehmer/in am 34. real,- BERLIN-MARATHON 2007 zugelassen sind.“ Wenn es soweit ist, werde ich den Rucksack einer ungewissen Zukunft tragen: Am 16. August gab mein Brotgeber die Auslagerung meines Arbeitsbereichs bekannt. Im nächsten Jahr werden wir alle in die Wüste geschickt.
 
11. Wo. (131 km): Zurück in der Ellipse! 25 Stadionbahnen mit 17 Tempostücken à 400 Meter und möglichst schneller 10
 000-Meter-Zeit am Ende. Mit 42:24 Min. war ich eine Minute schneller als vor drei Wochen. P. unterbot ihre Zeit gar um fünf Minuten. Auf dem langen Kanten mußte ab sofort das „Beißholz“ rausgeholt werden. So ein Ast, der zur Freisetzung von leistungsfördernden Streßhormonen herhalten muß. Statt der Vorgabe - „35 km mit 6 km Endbeschleunigung bis nah ans Marathontempo“ - hab ich wiederum 40 Kilometer gemacht... und wurde unterwegs nach mentalen Einbrüchen zweimal von der eigenen Frau überrumpelt! Wir hatten für diese spezielle Übung extra einen Tag Urlaub genommen.
 
12. Wo. (94 km): Ein großes Ereignis warf seinen Schatten voraus: Am 27. August bestätigte uns interAir die verbindliche Reservierung von 2 Startnummern zum New-York-Marathon 2008.
 
.:: DER 2. AUFBAUKAMPF ::.
 
35. VOLKSLAUF MÜHLHEIM, 2.9.07
(Halbmarathon)
Von Fliegern und Flitzern
 
Vier Wochen vorm Hauptkampf ist ein guter Zeitpunkt für eine letzte Tempospritze über die halbe Distanz. Im Frankfurter Umland kamen dafür zwei Veranstaltungen in Betracht: ein Stadtkurs in Kelkheim und einer im Wald bei Mühlheim. Zum springenden Punkt wurde die Anreise. Zwölf Kilometer sind es von uns nach Kelkheim. Ein Klacks - aber eine unüberwindbare Hürde sonntagmorgens mit dem Rhein-Main-Verkehrsverbund. Damit ging es in den Frankfurter Südosten, ins zweiminütlich von und nach Frankfurt einschwebenden Düsenfliegern zugelärmte Mühlheim. Zu einem Rennen, daß 35 Jahre nach seiner Entstehung noch nicht im Informationszeitalter angekommen ist. Der Chef der Turngemeinde von 1881 hatte uns eine Wettkampfausschreibung zugeschickt. Ein „Halbmarathon rund um das Naherholungsgebiet über eine der schönsten und waldreichsten Laufstrecken Hessens“ war darin angepriesen - mit dem Vermerk: „Die Strecke ist eben und fast ausschließlich im Wald. Da in der letzten Woche Bäume abtransportiert wurden könnten sich Spuren auf den Wegen befinden.
 
In echt ging es vom Sportplatz Dietesheim zunächst in die Wald- und Seenlandschaft der ehemaligen Basaltsteinbrüche von „Diddesem“, wie es in der Mundart genannt wird. Waldpfade führten weiter in Richtung Süden vorbei an Mühlheim-Lämmerspiel, und über Hausen weiter bis vor Obertshausen mit der Wende vor der Bundesstraße 448. Auf einer Länge von zwei Kilometern ging es nun auf Asphalt längs zur B45 zum Kilometer 10, und ab hier in Form eines „V“s durch den Wald zurück nach Dietesheim. Außer drei Wassertischen und den verwitterten Säulen eines mittelalterlichen Galgens: keine Spur von Menschenhand, nur Natur.
 
Sah es bei unserer Ankunft herzlich wenig nach einer Sportveranstaltung aus - halb acht war noch die Aufbaumannschaft am Werk -, so schoß Staatsminister Hoff planmäßig um 9 Uhr im Dietesheimer Stadion 626 Akteure in die Läufe über 10 und 21,1 Kilometer. Nach einem Auftakt im Hurra-Stil entschwand ich auf der zehnten Stelle in den Wald - wurde aber bald schon von einer Schar Tight-Träger nebst einem jungen, dynamischen Studiogestählten überrannt. Nachdem ich auch noch den selbstbezeugten „Trainingsweltmeister mit 170 Wochenkilometern“, dem „Bereits-am-Vortag-einen-Halbmarathon-Gerannten“ sowie dem stolzen „Familienvater in spe“ absichtlich vorbeigelassen hatte, war ich alle Plagen los - und den Rest (16 Kilometer) allein in Stille, endlosen Forstschneisen und von Gewitterschwüle niedergedrückten Baumriesen. Ich war wie aus dem Wasser gezogen vom ersten Meter an. Nach einem ruhigen Mittelteil über steiniges und knorriges Geläuf, konnte ich ab Kilometer 18 noch mal auf Kampfmodus umschalten und zwischen Oberwaldsee, Vogelsberger See und Stadion eine Handvoll der entwischten Flitzer abfangen. Final stand eine unerwartete Bestzeit und ein 3. Platz in der M45. Im Kabinengang reckte der Muskelprotz die Faust: „Wow, was ein Killer-Lauf!“ Oh ja, das war ganz großer Sport!
 
295 Halbmarathonläufer erreichten das Ziel unter 2:30 Stunden, darunter Behle in 1:22 (Jahresbestleistung), Biorunnerpropagandaminister Trippel in 1:42 (PB) und Peanut in 1:55 (ebenfalls PB). Ab 12 Uhr wurden die Urkunden überreicht und Bilder gemacht. Nachdem ich mangels Zeit bereits in Karben verzichtet hatte, wollte ich die Erinnerung diesmal mitnehmen. Leider dauerte es bis zur Ehrung der M45 mehr als eine Stunde und zig Rahmenkämpfe, Diddesemer Basaltkoppmeisterschaften und Hände... Vielen Dank für nichts!
 
Hilfswerk
Die Einnahmen gingen an einen Mühlheimer Marathonläufer, der bei einem Triathlon im Allgäu einen Herzstillstand erlitt und seither im Koma schläft. Zu den gespendeten Startgeldern kam eine Tombola. Die Haupttreffer waren ein Rundflug ab Egelsbach und Flüge mit dem legendären Wellblechflieger „Tante Ju“ über Berlin, Hamburg oder Frankfurt. Die Fußballprofis von Kickers Offenbach Endres, Judt, Binz und Dämgen waren zu einer Signierstunde bereit.
 
ZAHLEN UND ZEITEN
 
Wetter: stark bewölkt, 18ºC, Windstille
 
Teilnehmer am Start: 738 (HM, 10 km, 5000 m, 1000 m, 600 m)
Teilnehmer im Ziel: 640
Halbmarathonläufer im Ziel: 295 (M: 237 / W: 58)
 
Männer
1. Heiko Ludewig (Frankfurt) 1:12:29
2. Harald Klein (Mörfelden-Walldorf) 1:13:47
3. Björn Kuttich (Offenbach) 1:18:01
24. Kampfläufer Vitus (Frankfurt) 1:27:12 (PB, 3. M45, 24. Gesamt)
 
Frauen
1. Petra Seibert (Frankfurt) 1:34:13
2. Cora Bretschneider (Offenbach) 1:38:57
3. Gabriele Timmermann (Frankfurt) 1:40:14
23. Peanut (Frankfurt) 1:55:09 (PB, 4. W45, 207. Gesamt)
 
Ergebnisse
Team Endzeit
Der Kampf im BILD... anklicken............
13. Wo. (141 km): Eine Woche voller Chaos im Kopf. Eine Vermengung aus dem kraftspendenden Halbmarathon (im Mühlheimwald sind mir neue Flügel gewachsen), der Auslagerung meines Arbeitsplatzes nach Osteuropa und Indien, und der Nähe des Marathons... Trainingsmethodisch trat eine neue Übung auf den Plan: die Teufelstreppe! Ein grausames Spiel aus je einem 1000-, 2000-, 3000- und 4000-Meter-Tempostück im Marathontempo. Der Ausdauerlauf über 40 Kilometer stand wiederum unter der Devise „Ruhig einsteigen, ab der Mitte Spannung aufbauen, und am Ende loslegen wie ein Gepard auf der Jagd“. In unbeobachteten Augenblicken durften die Beine schon von Bestzeitmordlust geflutet sein. Als Lohn - und von gut unterrichteten Kreisen sogar als Regenerations-Verstärker angepriesen - waren zwei Weizen erlaubt. Statt Bier hab ich mir ein schönes Vollbad gegönnt. Mit 141 Wochenkilometern und 3:23 Std. über die 40 Kilometer hatte ich zwei Uralt-Rekorde ausradiert und VERNICHTET!
 
14. Wo. (130 km): Am Montag war die 10
 000-m-Bestzeit zum Abschuß freigegeben. Der Übungsleiter hatte das Beißholz und 40:30 bis 42:23 gefordert - das selbstgesteckte Ziel lautete „Unter 40“. 25 Sportplatzbahnen in je 96 Sekunden, so mein Plan. Eine steife Brise, regenschwerer Aschenboden und ablenkende Fußballjugend vereitelten das Unterbieten der 40 Minuten. Womit ich in den Augen von Übungsleiter PG weiterhin zum „Joggerpack“ gehörte. Doch meine Stunde wird in Berlin schlagen! Am „Tag der Wahrheit“, dem extensiven 35-Kilometer-Lauf am Sonnabend, habe ich die angewiesene 15-Kilometer-Endbeschleunigung auf den Grüngürtelweg zwischen Vilbel und dem Frankfurter Stadtteil Rödelheim gehämmert.
 
15. Wo. (100 km): Die unmittelbare Wettkampfvorbereitung wird bei PG immer von einem Marathon-Renntempo-Test eingeleitet: „15-km-Tempodauerlauf so schnell es geht. In der Regel ist es so, daß man das erreichte Tempo auch im Marathon durchlaufen kann. Das gilt sicher, wenn du mindestens sechsmal in der Woche in der ganzen Vorbereitung trainiert und jeden 35-km-Lauf absolviert hast.“ Mit 1:03 Std. über die „15“ lag präzise auf Marathon-Richtzeit „2:59“, ich habe 16 Wochen lang sechsmal trainiert, habe acht Läufe über 35 Kilometer gemacht (vier davon über 40), und die im Plan vorausgesetzten Grundwesenszüge „Leidensbereitschaft und Kampfwille“ sind mir angeboren.
 
16. Wo. (42 + 42,195 km = Gesamt 1683 km): Progressiver Umfangsabbau und Erholung waren nun die Maßgaben. In den letzten 16 Wochen hatte ich knapp 1700 Kilometer zurückgelegt, davon 1350 Kilometer in den zwölf Greif-Wochen. Am Ende stand ein Ruhepuls von 45. Peanut lief 1066 Kilometer, von denen 888 nach den Anweisungen des Greif-Clubs erfolgten. - In Erwartung unsagbarer Schmerzen, aber voller Kampfeslaune, sind wir nach Berlin gefahren. Alles sollte fürchterlich werden...
 
.:: DAS RENNEN ::.
 
34. real,- BERLIN-MARATHON, 30. September 2007
Donnerstag, 26. September
 
Es fällt mir nicht leicht, von Berlin 2007 zu erzählen. Habe reiflich überlegt, ob ein Rapport verfaßt werden soll. Doch einerseits verdient Berlin keine Motze. Zum anderen muß der Stachel einer bitteren Niederlage gezogen werden. Und überhaupt... Berlin... Geschichte wurde dort geschrieben! Begonnen hatte mein Elend schon zuhause in Frankfurt. Nachdem ich über Monate hinweg Woche für Woche 120 Kilometer geschrubbt hatte, war ausgerechnet in der Erholung vorm Marathon eine alte Sprunggelenksverletzung aufgerissen - und hatte sich auf der Reise nach Berlin weiter verschlechtert. Am Mittag hatte ich mit Peanut die angemietete Wohnung in der Nähe vom Wittenbergplatz in Schöneberg bezogen. Das dortige Milijö setzte sich grob gesagt aus drei Sorten Menschen zusammen: 1. Anderslebende, 2. Ausländer, und 3. Homos. Wir waren in der „Queerzone“ von Berlin gelandet und neben 57 Freudenhäusern und Fetischshops auch noch von tosenden Hauptstraßen umchlungen. Die Beschaffung von Verpflegung sowie der Startunterlagen im Messegeände am Funkturm hatten wir am frühen Abend hinter uns. Weiterhin stand eine Auflockerung im nahen Tiergarten an. Dort war das Lichterfest „Lichtberlin“. Lichtkünstler hatten die Lunge der Stadt mit Lampions und Windlichtern in nächtliche Illuminationen getaucht. Auf Teichen und Tümpeln schwammen Lämpchen. Aber statt Kraft durch Stille und Schönheit gab es für mich Schwächung durch Glühen im Knöchel. Und nur noch 75 Stunden bis zum Start!
 
Freitag, 27. September
 
Nach einem Schlaf von zehn Stunden habe ich ein „Regenerations-Beschleuniger-Müsli“ mit Blütenpollen aus dem Harz verputzt, mir eigens für den Marathon die Haare schnell schneiden lassen, und in den verbleibenden Stunden auf eine Wunderheilung gehofft...
 
Sonnabend, 28. September
 
Am Morgen des Sonnabend grassierte das Marathonfieber schon sehr heftig. Ein Trupp heißer Dänen kreuzte unseren Weg zum Bäcker. Mit noch immer schmerzendem Knöchel erfolgte ein Frühstückslauf durch den Tiergarten, und nach einem kräftigen Abendessen sind wir früh zu Bett gegangen - ohne an die Mücken vom Landwehrkanal zu denken. Es sollten die einzigen in der ganzen Woche in Berlin bleiben. Aber ausgerechnet in der Marathonnacht waren sie da, um uns zu stechen und zu piesacken! Schlagen, Kratzen und Jucken um Mitternacht! Neuneinhalb Stunden vorm Start war das erste Biest erlegt... darauf fielen die Analritter aus der Kneipe gegenüber auf die Straße... und eine weitere Zeigerumdrehung später (7 Std. vor Rennbeginn) schreckte uns ein zweites blutrünstiges Insekt hoch. Horror und Alptraum, Wut und Verzweiflung: alles in einem! Dazu ein zu schmales Bettsofa, in dem wir uns wie die berühmten Eierkuchen wälzten. „Gott, wenn es dich gibt, mußt du ein Arschloch sein“ hab ich gedacht, und das Klingeln des Weckers herbeigesehnt.
Die Quadriga (© Vitus)
Sonntag, 30. September
 
Um 4.22 Uhr quäte ich mich aus dem Bett. Ich hatte nicht eine Minute geschlafen und sollte nun Höchstleistung bringen:
BERLIN-MARATHON in „2:59“... Peanut hatte es auf ein Nickerchen von vier Stunden gebracht, war aber durch einen Stich ins Lid gehandikapt. Nach einem Trab durchs Morgengrau haben wir gefrühstückt und uns mit der U-Bahn vom Nollendorfplatz zum Potsdamer Platz bewegt. Um 7.20 Uhr befanden wir uns im Startgelände zwischen Brandenburger Tor und Reichstag. Zelte schützten vor vereinzelten Schauern. Halb 9 hatten wir unsere Kleiderbeutel abgegeben, ein einschwörendes Zuckerwasser „Lucozade“ vom London-Marathon getrunken, und waren um 8.45 Uhr von der Masse in der Startaufstellung verschlungen worden. 33 476 Marathonläufer aus 115 Ländern stellten sich dem Kampf, allen voran der gottbegnadete Gebrselassie bei seinem zweiten Angriff auf den Weltrekord. Mit herbstlichen Temperaturen und nur leichtem Wind waren die Wetterbedingungen gut.
 
Kilometer 0 bis 10:
Tiergarten, Moabit und Mitte
 
Um neun schickte Berlins „Rejierender“ Wowereit die Läufer durch seine Stadt. START für mich zu einem Himmelfahrtskommando ins Nichts. Denn nichts anderes als ein unwirklicher Streifen von 42 Kilometern würde sich in den kommenden Stunden vor meinen Augen abspulen. Über die gigantische Ost-West-Achse manövrierte der surreal,- Berlin-Marathon 2007 zunächst durch den Tiergarten und an der Siegessäule vorbei in Richtung Charlottenburg, um nach zweieinhalb Kilometern nach Norden, in den Arbeiterkiez Moabit abzubiegen. Zwar wollte ich mich an den Hase für „Sub 3:00“ heften, war aber vor ihm gestartet und hatte ihn später im Gewimmel nicht zu Gesicht bekommen. Erstmals geschah das auf dem sechsten Kilometer, nach der Passage des Spreebogens mit dem Reichstag und dem Streckenfest auf der Bismarckallee. Die blaue Ideallinie führte in den Osten und auf die im Vorjahr durch Baustellen verengte Friedrichstraße. Außer den Straßenbahnschienen waren alle Gefahrenstellen beseitigt und über Tor- und Mollstraße ging es zum zehnten Kilometer. Mit 41 Minuten lag mein Auftakt genau im Schema für 2:59 Stunden.
 
Kilometer 11 bis 20:
Friedrichshain, Kreuzberg und Neukölln
 
Wie in straßenbaulicher Hinsicht, hatte der Osten gegenüber 2006 auch in Zahlen aufgerüstet. Vor allem in der Betonwüste um den Alex bis zum wilden Kruzberg herrschte Volksfeststimmung. Schwarzgekleidete Punker und schräge Randfiguren waren zu sehen. Das Gefühl, über die Erde zu fliegen - auch „Runner´s High“ genannt - stellte sich ein. Doch bald sollte das Rennen eine dramtische Wende nehmen... Unter der Hochbahn-Station Kottbusser Tor lieferte eine Türkenkapelle die einzige laute Musikeinlage auf der ganzen Schleife (ansonsten frönte Spreeathen eher säuselndem Jazz). Auch die 15-Kilometer-Kontrolle des Marathons war in diesem Quartier postiert. Mit einer Durchgangszeit von 1:02 Std. war ich früh wie nie zuvor an diesem Punkt. Vorbei an Hasenheide und der Kirche am Südstern waren die gußeisernen Yorckbrücken erreicht. An deren Ende erzeugte ein Percussion-Ensemble einen Beat mit Verstärkereffekt.
 
Kilometer 21 bis 30:
Schöneberg, Steglitz und Zehlendorf
 
Mit 1:27:49 Stunden war ich zur Halbzeit in Schöneberg vorgedrungen, und der 25. Kilometer war nach 1:44 Std. erreicht: zwei Minuten schneller als Plan „2:59“! Ich fühlte mich wie eine Nachteule auf LSD, die in einem Kanal aus einer Million Menschen der Sonne entgegensaust - bis ich in einer Sekunde der Unaufmerksamkeit an der Kreuzung Schmiljanstraße auf dem Bordstein umknickte. Es hätten Sehnen und Bänder reissen können. Doch es war „nur“ ein dumpfer Schmerz im Hüftgelenk zu spüren. Anfangs... Doch mit dem bürgerlichen Friedenau begann der schlechte Teil des Trips. Es lief nicht mehr rund, ich mußte sofort einen Gang rausnehmen, die Muskeln verkrampften. Ausgerechnet der „schwache“ Oberschenkel... Der Kultplatz mit dem Bronzeschwein „Wilder Eber“ war diesmal weit weniger erquickend als noch vor einem Jahr. Ein Rollstuhlfahrer hätte mich beinahe umgenietet. Und gleich darauf schluckte mich auf der ansteigenden Rheinbabenallee der Trupp um den ersten Zugläufer. Während ich mich zum dreißigsten Kilometer kämpfte - noch immer mit einigermaßen Zeitpolster auf die „2:59“ und vier Minuten schneller als im Vorjahr - ...
 
... stürmte in der Spitze Haile Gebrselassie - zuerst abgeschirmt von einem fünfköpfigen Afrika-Express, dann ab Kilometer 30 als Solist - unbedrängt zum signalisierten WELTREKORD: 2:04:26! Damit war eine weitere Krönung seiner ruhmreichen Laufbahn erreicht. Gebrselassie hatte sich damit auch zum zweitenmal zum Kaiser von Berlin gekrönt. Eine Viertelstunde später folgte mit dem Spergauer Falk Cierpinski auf der 23. Stelle der beste Deutsche.
 
Kilometer 31 bis 40:
Charlottenburg, Schöneberg und Mitte
 
Für viele führte die Strecke jetzt über den Kurfürstendamm zum 35. Kilometer. Noch immer war ich gefühlte Lichtjahre schneller als 2006. Als schick und mondän galt die ehemalige Promenade Ku´damm. Doch im gleichen Maße wie hier ein Wandel begann, bahnte sich für mich nun ein schneller und totaler Untergang an. Noch am Morgen hatte ich mit Peanut gespöttelt, daß wir am ominösen 35. Kilometer einen Abstecher auf ein Bier zuhause machen könnten. Auch Ausstieg und Start in Frankfurt Ende Oktober war eine Option. Denn unsere Unterkunft stand in Sichtweite zum Kurs. Zum Potsdamer Platz vorgedrungen, folgte indes eine kuriose Wiederholung der Geschichte. Wie vor einem Jahr überholte mich dort der Yeti im Trikot vom Vogtländischen Radsportteam Plauen. Grußlos diesmal, denn der Typ kämpfte selbst am Anschlag. Zwischen den von So-nie und Deimler hingeklatschten Konstruktionen aus Beton, Glas und Stahl hindurch, und über die windumtoste, ins Nichts führende Leipziger Straße, war der 39. Kilometer erreicht. Von hier an wurde der Weg sehr lang und sehr hart. „Jeht´s noch?“, berlinerte die Streckensicherung. Und: „Hinta der nächsten Kurwe jibt´s Wassa.“ Aber weder Wasser noch das Energiegetränk „Basica“ bewirkten Wunder. Ausgekühlt vom Schlafentzug und geschüttelt von Krämpfen im Oberschenkel kämpfte ich mich nach einem ersten Stopp mit Kilometern in 6:30 Min. dem Ende entgegen.
 
Kilometer 41 bis 42,195:
Mitte und Tiergarten
 
„Der läuft schon blau an“, hörte ich eine Omi zur anderen sagen. „Wer durchkommt, steht in der Zeitung“: Einzig dieses Spruchband der „Morgenpost“ konnte jetzt noch das Ziel sein. Nur noch eintausend Meter. Nur noch? Die Prunkstraße Unter den Linden - passenderweise „Kahlbaumstraße“ genannt - brachte den finalen Niederschlag. Das Brandenburger Tor voraus, verwehrte mein linkes Bein den Dienst. Während Tausende und Abertausende am Rande vor Begeisterung schrien, schrie ich meinen Schmerz heraus. Ganze Kompanien zogen an mir vorbei. Eine große Möglichkeit war zu Grabe getragen, monatelange Vorbereitung nur Makulatur. Das beschliffene Pflaster vom Pariser Platz war der Tiefpunkt. Von Schmerzen gelähmt hinkte ich - - und dann stand ich - - Eine Streckensicherung wollte mich aus dem Rennen nehmen - kurz vorm Ziel! Doch ich konnte mich unter die Quadriga durchschlagen. Ohne Hilfe. Voraus noch 300 Meter. Mit vollen Tribünen links und rechts des „17. Juni“. Und einem weiteren Krampfanfall. Nach neun (!) Minuten für den letzten Kilometer war ich durch. 3:13:43 Std. lautete die Weltuntergangszahl.
 
Leider gewährte mir das medizinische Personal keine Hilfe, kein Lockern der Muskeln und Sehnen, auch nicht auf Anflehen. Schlotternd vor Schmerz und Frost und mit einer Banane, drei Keksen und einem ungenießbaren Pflanzenextraktgetränk im Verpflegungsbeutel, habe ich mich Richtung Umkleide bewegt. Die wind- und regenumtoste Reichstagswiese war zu einem Feldlazarett umgerüstet worden. Nachdem man mich auch dort eine Viertelstunde vergeblich auf eine Massage warten ließ, erreichte ich mit letzter Kraft das Zelt mit den Umziehsachen. Keine Linderung brachte auch der Freibierstand, an dem vier Wirte eine ungleiche Schlacht gegen vier Legionen durstige Läufer führten. Das erste Helle nach acht Wochen dauerte ewig. Ein lange hinter mir hergelaufener Südtiroler vom „Reschenseelaufteam“, der mich im Tiergarten wiedergetroffen hatte, war kraft seiner Jugend nach 2:54 Std. ins Ziel gekommen.
 
Peanut blieb hinter den Erwartungen. Sie wollte ihr eigenes Tempo laufen, jeden 5-Kilometer-Abschnitt gleichmäßig in 30 Minunten absolvieren, um so auf eine Marathonzeit von 4:15 Stunden zu kommen. Sie konnte das geplanten 6:02 Minuten pro Kilometer lange halten und hatte das Glück, nicht dramatisch einzubrechen. Letztlich ist sie mit ihrer großen Leidensfähigkeit in 4:18:39 Stunden bis zum ZIEL durchgedrungen. Damit war zumindest ihre alte Bestmarke um elf Minuten unterboten.
 
Die äthiopischen Vorjahresmatadore Gete Wami und Haile Gebreslassie haben ihre Siege verteidigt. Damit durfte Wami in New York von den 300
 000 Dollar aus der Serie der „World Majors“ träumen. „Gaba“ sackte schon heute 280 000 Euro ein: 150 000 Euro Antrittsgage, 50 000 Preisgeld, dazu 80 000 Zeitprämie. „Ihr wart mein Rückenwind und seid auch alles Rekordläufer!“, soll er allen zugerufen haben, die auf der Schlußfeier waren. Wir selber ertranken unseren Frust in einer Queer-Kneipe in Schöneberg mit dem schönen Namen „Raststätte Gnadenbrot“.
 
 
FAZIT
 

Ausstrahlung: Der Hauptstadtmarathon 2007 - böse Zungen redeten vom „Judenmarathon“. Doch das wäre ungerecht. Obwohl viel Kalkül im Spiel war. Der Fokus lag klar auf der Jagd nach dem Weltrekord, bei der die 60
 000 Zahlenden nur staunende Staffage waren. An Pinkepinke samt einer Schar Hasen für den eingekauften Wunderläufer fehlte es wahrlich nicht. Geschäft hin, Geschäft her: Die Strecke war denkwürdig und - von alten Baustellen entschärft - schneller denn je. Wer 2007 dabei war, war Teil eines Weltrekords. Wirkung: Berlin war in wenigen Stunde überrannt. Die Vorleistungen hatten dreieinhalb Monate beansprucht. Trotz allem ist Berlin unvergleichlich. Jedes Jahr neu. Für die Materialinteressierten: Frau trug Asics GT-2120, Mann Adidas adiStar Competition.
Der Kampf in einer BILDERTAFEL... anklicken............
KULTURLEBEN
 
Montag bis Donnerstag, 1. bis 4. Oktober
 
In der folgenden Nacht habe ich von noch härterem Training geträumt und einen Schlachtplan zum nächsten Marathon geschmiedet. BOSTON! Zur kulturellen Aufarbeitung zählte ein Bummel durch Kreuzberg, Spurensuche nach dem Berliner Straßenmädel Christiane F. am Bahnhof Zoo, sowie eine Landpartie nach Genthin tief in Brandenburg zu unserem Freundespaar Kerstin und Kalle. Wir haben den ganzen Tag dort verbracht und hatten eine wirklich gute Zeit. Ferner waren wir auf zwei Konzerten: bei Punkern im „SO36“, Kreuzberg:
...... Rasta Knast, Die Mimmis, Dödelhaie, The Shocks und No Exit
und...
bei Blackdoomern im „K17“, Friedrichshain:
...... Gallhammer, Skitliv und Abyzz
 
Berlin war eine bittere Pille. So unglaublich es auch klingt: Zwei klitzekleine Mücken hatten alles verdorben. Monatelang hatten wir uns sorgfältig vorbereitet, um in letzter Sekunde durch fehlende Nachtruhe um den Lohn gebracht zu werden. So mußten wir ohne Fortune, tief deprimiert abziehen. Aber man braucht ja Ziele... Am siebenten Tag haben wir Berlin verlassen. Gute Nacht, Ickedettekiekemal!
 
 
Dank und Gruß an
Marathona Peanut (für die große Geduld),
Kalle und Kerstin (für den Tag in Genthin),
Frisör-Studio Seifert (für die selbstlose Hilfe und den Kampfschnitt),
Axel H. aus Dresden,
alle Marathoninteressierten aus dem virtuellen und wirklichen Leben (für die Wegbegleitung), sowie
die unzälbaren Massen am Rande (fürs Anpeitschen).
 
 

Kampfläufer Vitus, 6. Oktober 2007
 
.:: ZAHLEN UND ZEITEN ::.
Wetter: heiter, 14 bis 18ºC, leichter Wind, 70 % Luftfeuchtigkeit
Zuschauer: ca. 1
 000 000
 
Gesamtsummen
(Läufer, Sportwanderer, Handradfaher, Rollstuhlfahrer, Kufenroller)
Gemeldet:
48
 026 aus 115 Nationen
Am Start: 38
 743
Im Ziel: 37
 490
 
Marathonläufer
Gemeldet:
40
 025 (M: 31 938 / W: 8137)
Am Start: 33
 476 (M: 26 797 / W: 6679)
Im Ziel: 32
 497 (M: 26 010 / W: 6487)
 
Gesamtwertung Männer
1. Haile Gebrselassie (Äthiopien) 2:04:26 (
WR)
2. Abel Kirui (Kenia) 2:06:51
3. Salim Kipsang (Kenia) 2:07:29
4. Philip Manyim (Kenia) 2:08:01
5. Mesfin Adimasu (Äthiopien) 2:09:49
6. Lee Troop (Äthiopien) 2:10:31
 
Gesamtwertung Frauen
1. Gete Wami (Äthiopien) 2:23:17
2. Irina Mikitenko (Deutschland) 2:24:51
3. Helena Kirop (Kenia) 2:26:27
4. Irina Timofejewa (Rußland) 2:26:54
5. Naoko Sakomoto (Japan) 2:28:33
6. Hayley Haining (Großbritannien) 2:30:43
 
Kampfläufer Vitus
Startnummer:
27205
Nation: Deutschland
Zeit: 3:13:43
Gesamtplatz: 2602 von 32
 497
Platz: 2502 von 26
 797 bei den Männern
Platz: 388 von 4447 in Klasse M45
Zwischenzeiten
05 km: 0:20:23 (20:23)
10 km: 0:41:14 (20:52)
15 km: 1:02:01 (20:48)
20 km: 1:23:08 (21:07)
25 km: 1:44:26 (21:18)
30 km: 2:07:03 (22:38)
35 km: 2:31:04 (24:01)
40 km: 2:58:32 (27:28)
Halb 1: 1:27:49
Halb 2: 1:45:53
Geschwindigkeit: 13,07 km/h
Zeit pro km: 4:35 min
 
Peanut
Startnummer:
F7716
Nation: Deutschland
Zeit: 4:18:23 (PB)
Gesamtplatz: 20
 858 von 32 497
Platz: 2768 von 6679 bei den Frauen
Platz: 459 von 1129 in Klasse W45
Zwischenzeiten
05 km: 0:28:38 (28:38)
10 km: 0:58:21 (29:44)
15 km: 1:27:53 (29:32)
20 km: 1:57:51 (29:59)
25 km: 2:28:30 (30:40)
30 km: 2:59:45 (31:15)
35 km: 3:31:24 (31:40)
40 km: 4:04:30 (33:06)
Halb 1: 2:04:56
Halb 2: 2:13:27
Geschwindigkeit: 9,80 km/h
Zeit pro km: 6:07

 
Ergebnisse

Berlin-Marathon