21. FRANKFURT-MARATHON, 27. Oktober 2002
STRECKE ¤ VORBEREITUNG ¤ MARATHON ¤ STATISTIK ¤ BILDER
Marathon-Manie in Mainhattan Vol. IV - Auf dem Weg nach Europa
 
 
Nach wiederum deprimierenden Erlebnissen an der Oberelbe und in Mainz hatte ich innerlich die Schuhe an den Nagel gehängt. Schluß damit! Nie wieder Marathon! Aber mein Name stand seit Monaten in der Startliste von „Mainhattan“... und eine niedrige Nummer wie die 806 verpflichtet einfach zum Start. Auf dem weiten Weg dorthin erlebte ich auch noch das ein oder andere Wunder, Kleinigkeiten, die Frankfurt 2002 am Leben hielten: die Radbegleitung bei Wind und Wetter auf den langen Kanten durch mein Mädel, Aufmunterung und Unterstützung durch Briefe von der zweimaligen Olympiateilnehmerin Petra Wassiluk, die das Frankfurter Marathonprojekt leitete, die Anfeuerungen durch unsere Urlaubsgastgeber in Italien und die der Jugend des lokalen Fußballclubs Rot-Weiß Frankfurt, kurz Leute, die ein bißchen Interesse an der undankbaren Sache „Marathonlauf“ zeigten.
 
Öfter was Neues: Mit dem Rückzug des halbseidenen persischen Geschäftsmanns Maleki, der die Frankfurt-Marathons 2000 und 2001 betrieb, begann mit Einführung des Euro auch eine neue Ära am Main. Unter dem Kommando von Jo Schindler sollten jetzt wieder bessere Zeiten kommen. Der Rennleiter gewann die „Messe Frankfurt“ als großen Geldgeber, und das Schicksal des Klassikers lag in der Hand von Experten und Menschen, die sich mit Sport und Marathonlauf auskennen!
 
.:: DIE STRECKE ::.
Deutschlands ältester Stadtmarathon ist flach, er verläuft über breite Hauptstraßen ohne enge Kurven und ist nicht zuletzt wegen der kühlen Herbstwitterung wie geschaffen für schnelle Zeiten. Nach dem Start an der Messe führte das erste Drittel durch die Stadtteile Westend und Bockenheim, über den Alleenring durch die Straßenzüge des Nordends, in die Innenstadt mit Europas höchsten Wolkenkratzern. Über den Anlagenring und den Main ging es nach Sachsenhausen. Das Vergnügungsviertel Alt-Sachsenhausen wurde gestreift, es ging durch die Wohngebiete von Sachsenhausen, Niederrad und Schwanheim und wieder zurück über den Main zur Wende im westlichen Vorort Höchst. Retour über die Mainzer Landstraße führte die Strecke durch Griesheim und den Gallus und mit einem letzten Bogen durch das Zentrum der hessischen Metropole wieder zum Ausgangspunkt Messe Frankfurt.
 
.:: DIE VORBEREITUNG ::.
Der 5. August bis 27. Oktober im Stenogramm:
 
 
1. Wo. (65 km): Am Anfang des langen, steingen Weges stand Demotivation. Alle Form war verloren, die Körper und Seele am Boden, keine Lust auf Irgendwas! Nur die Wettermächtigen stachelten mit milden Temperaturen und etwas Regen zur Bewegung in der Natur an. Ich mußte nun um einen Neuanfang kämpfen. Sechzig Kilometer waren natürlich viel zu wenig.
 
2. Wo. (81 km): Vollends in den Hintergrund trat die Marathonvorbereitung, als Dresden im Wasser ertrank! Es geschah Mitte August: Die Meteorologen hatten vor einer gefährlichen Großwetterlage gewarnt - und dann brach Tief „Ilse“ über Sachsen herein. Wolkenbrüche verwandelte die kleinen Flüsse Weißeritz und Müglitz in reißende Ströme - die wiederum ungeheure Wassermassen in die Elbe drückten. Am 13. August schwappte Dresdens Schicksalsfluß an die 9,60-Meter-Marke. Damit stand der Pegel 7,60 Meter (!) höher als üblich. Rund ein Drittel Dresdens stand unter Wasser. Brücken, Straßen und Häuser waren zerstört. Manche gingen in den Fluß. Weit weg von daheim war ich zwischen Hoffen und Verzweiflung, Trauern und Bangen wieder mal mit mir allein.
 
3. Wo. (92 km): Nach einer quälenden Woche zog sich das Wasser langsam aus der Stadt zurück. Dresden hatte die Sintflut überstanden und mußte sich nun vom Schlamm freischaufeln. Allein der Schaden an der Semperoper betrug 27 Millionen Euro (nicht Mark!). 21 Menschen kamen im Wasser um. Die Leute hofften auf eine bessere Zukunft. Die Aufräumarbeiten und der Neuanfang in der gebeutelten Heimat sorgte für Aufschwung in meinem Training. Und: Nach zwanzigjähriger Abstinenz hatte ich das seit meinem Abschied vom Radsport verweigerte Radfahren wiederentdeckt. Auf einem Mountainbike fand ich auch die Freiheit, die ich im Alltag schmerzlich vermisse.
 
4. Wo.: (94 km): Das Wissen um den geplant letzten Wettkampf machte frei. Ich rannte mir haufenweise aufgestaute Wut und Enttäuschung aus dem Bauch. Laufen als perfekte Realitätsflucht?!
 
5. Wo. (102 km): Eine Gipfelwoche. Vier lange, betont ruhige Dauerläufe standen für diesen fünften Abschnitt. Sowie eine Schrecksekunde. Bei einem Sturz mit dem Rad war ich mit einer Schulterverletzung noch glimpflich davongekommen. Das hätte ganz schlimm ausgehen können!
 
6. Wo. (100 km): Wiederum eine wenig prickelnde Etappe im altgewohnten Trainingsgebiet an den Gestaden von Nidda und Main, zwischen wegversperrendem Joggergesindel und der mit Stöcken bewehrten Hausfrauenbewegung, die sich neudeutsch „Nordic Walker“ nennt.
 
7. Wo. (81 km / Italien): Avanti! Auf in den Süden! Voraus lagen drei Wochen Trainings-Urlaub in Italien. Die Reise ging nach Kalabrien an die meeresumspielte Spitze des Stiefels. Das Gelände vorm wilden, schroffen Gebirgszug Apennin erlaubte allerdings nur Hügelläufe auf öffentlichen Straßen. So was wie Laufstrecken, Radwege oder Beschilderung kannte man in Tropea nicht. Dafür stählen Hügel die Muskel- und Organkraft, Anstiege fördern die Willensstärke und waren eine großartige Abwechslung zum gewohnten Flachland. Verführerische Dolci (Süßspeisen), Gelati (Eis) und Birra (Zauberelixier) brachten mir ein Bäuchlein ein.
 
8. Wo. (110 km / Italien): Die Nächte waren kurz, die Tage heiß. Durch himmelssteile Montagnas, unberechenbare Cani (die streunenden Straßenhunde) und auf dem Hinterrad durch den Ort knatternde Motoristi (Kradartisten) geriet das Training nicht selten zum reinen Abenteuer. Trotzdem bereitete es unsagbare Freude, über Kalabriens Straßen und durch malerische Zitronenhaine zu laufen. Eine alte Frau nannte mich „Ragazzo“ (zu deutsch Junge). Ist Laufen der Quell ewiger Jugend?
 
9. Wo. (102 km / Italien): Zwei Tage höllische Bauchschmerzen nach dem Genuß von selbstgebrautem Limoncello (Limonenlikör) brachten das Unternehmen plötzlich ins Wanken. Statt Training fast Notarzt, statt Konditionsbolzen drei Tage Bett wegen Lebensmittelvergiftung... bis mich eine Madonna bionda und geheimnisvolle Süppchen wieder aufpäppelten... Der Rest war Genuß. Einheimische riefen mir aus verklärend schön nach Orangen und Bergamotte duftenden Gärten „bello“ (Schöner) und „gesulo“ (Jesus) zu. Mehr Italienseligkeit ging gar nicht! Die Zeit war märchenhaft! Arrivederci Italia!
 
10. Wo. (126 km): Alles Schöne und Sorglose nahm mit der Heimkehr ins kalte, düstere Germanien ein jähes Ende. Statt auf der lieblichen Lungomare von Tropea war ich nun wieder auf der graubraunen Anakonda längs der Wasserkerbe Nidda unterwegs. Die Wirklichkeit hatte mich eingeholt. Willkommen zurück in Frankfurt. Willkommen auf dem Boden der Tatsachen. Mit Italien im Herzen!
 
11. Wo. (81 km): Die beiden letzten Wochen gelten immer dem letzten Schliff. Nun ging´s darum, durch aktive Erholung den Mumm kommen zu lassen. Nach den letzten lockeren Läufen in Frankfurt stieg das Marathon-Fieber! Der lokale Radiosender „hr3“ strahlte täglich Vorberichte aus. Ich war verdammt stolz, einer der Akteure zu sein, und heiß auf diesen Kampf rund um „Mainhattan“!
 
12. Wo. (32 km + 42,195 km = Gesamt 1110 km): Im letzten Vierteljahr bin ich knapp eintausendeinhundert Trainingskilometer einsam vor mich hingelaufen. In der letzten Woche wurden durch eine abgeschwächte Fett-Eiweiß-Diät und eine darauf folgende massive Zufuhr von Reis, Nudeln und Kartoffeln die für den Marathon so wichtigen Energiespeicher frisch aufgefüllt.
 
.:: DAS RENNEN ::.
 
21. EUROCITY MARATHON MESSE FRANKFURT, 27. Oktober 2002
Freitag, 25. Oktober
 
Mit dem Ende der Sommerzeit lud Frankfurt zu einem neuen Stelldichein über die 42,195 Kilometer. Die Startunterlagen hatte ich am Mittag gleich zur Öffnung aus den Messehallen unterm großen Messeturm abgeholt. Aus Heimatliebe lief ich für meinen Jugendverein BSG Aufbau Dresden-Mitte.
 
Sonnabend, 26. Oktober
 
Die geselligen Veranstaltungen am Marathonvortag hatte ich wie immer konseqent vermieden. Zu viele Menschen. Zu viel aufgesetzte gute Laune. Eine unzälbare Masse von grinsenden Gesichtern. Stattdessen war ich fünf Kilometer allein durch die Herbstnebel am Fluß Nidda getrabt.
 
Sonntag, 27. Oktober
 
FRANKFURT-MARATHON! Ich bin gut durch die Nacht gekommen. Zum Frühstück gab´s Weißbrot vom Italiener ums Eck, bestrichen mit sizilianischem Honig (Mitbringsel aus dem Urlaub), sowie Kamillentee. - Einmal mehr erfolgte die Anreise in Assistenz von Peanut. Und wie bei allen Massenaufläufen waren die S-Bahnen auch am Marathonmorgen bis zum Bersten gefüllt. Zu allem Übel blieb sie auf freier Strecke stehen. Eine Viertelstunde saß ich mit angespannten Muskeln im Mief von Sportklamotten fest, Menschen atmeten mir die Luft weg, und die Zeit rannte... Immerhin schafften wir die drei Kilometer zur Messe und wie im Vorjahr fand sich im Durchgang vom Torhaus zur Festhalle auch ein Örtchen für ein letztes Geschäft. Es ist immer wieder erstaunlich, wie leicht sich der Mensch gleichschalten läßt: Während draußen Läufer wie eine Schafherde vor einer Reihe Plumpsklos standen, hatte man die gekachelten Räume ganz für sich. - 10
 247 Marathonläufer, 2036 Kufenroller, 1938 Kinder und 45 Handradfaher schraubten die Meldezahl in neue Höhen. Die Startliste strotzte vor namhaften Läufern, etwa den Kenianern Kerling, Cherono, Moiben, Rutto, Chege, Kandie, Kigen und Rono, dem Namibier Swaartboi, den Japanern Isomatsu, Kimura und Sakemi sowie Europas Elite um Buchleitner, Gladki und Kapitonow. Wenig erquickend unterdes: der wilde Mix aus Sonne, Wind und Regen. Beim Frankfurt-Marathon ist immer Wind. Aber diesmal sollte viel Wind sein. Europas mächtigste Sturmfront seit zehn Jahren, Orkan „Jeanett“ mit einer Geschwindigkeit von bis zu 180 Stundenkilometern, machte die Straßen unsicher! - Zwanzig Minuten vor der Angst begann ich mir den Weg zum Startplatz zu bahnen. Die Organisation hatte Skizzen von den Zugängen ausgegeben, die aber nur auf Papier existierten. Mit etwas Körpereinsatz war der Schwanz von Startzone A, Block Rot, erreicht. Erstmalig kamen Zugläufer zum Einsatz. Für das Zeitziel 2:59 Stunden stand keine Geringere als Katrin Dörre-Heinig bereit. Die dreimalige Frankfurtsiegerin sollte mich unter die magische Grenze führen. Hoffte ich. Doch im dichten Gedränge und Treiben war sie unauffindbar.
Eurotower (© Frankfurt-Marathon)
Kilometer 0 bis 10: Start in „Mainhattan“
 
„Puff!“ Um 11 Uhr vollzog sich der START. Schnell war die Masse weit verstreut. Auf den Opernplatz folgte die Bockenheimer Landstraße und die Strecke verlief durchs Westend, wo ich sechs wilde Jahre verbrachte. Allerdings war das frühere Zuhause kaum noch wiederzuerkennen: Stilvolle Gründerzeitgebäude mußten verspiegelten Bankenhochhäusern weichen. Vor dem historischen Wehrturm auf der Bockenheimer Warte bog die Strecke nach links weg und führte durch die Erhard-Anlage, auch „Messestrich“ genannt. War es in den Fünfzigern die Edelprostituierte Rosi Nitribitt, die hier für einigen Wirbel sorgte, so hatte diese Rolle heute Naturgewalt Jeanett inne. Es braute sich was zusammen... Nach wenigen Kilometern brannten meine Schienbeine. Ich nahm Tempo raus, und nördlich von Bockenheim folgte eine der wenigen leichten Steigungen, hinauf zum 5. Kilometer. Mit 22 Minuten stand ich von Anfang an unter Druck und lief nach wie vor im roten Bereich. Im Bankenviertel folgte die 10-Kilometer-Marke. 45 Minuten: vier Minuten über meinem Plan. Damit war schon alles verloren, und neben der früheren Lieblingsbar „Hard Rock Café“ ging auch noch mein Magen kurz in den Entleerungsmodus.
 
Kilometer 11 bis 20:
Durch die Wohngebiete südlich des Mains
 
Auf den Zementplatten der Konstablerwache schrien Menschen, die ich noch nie gesehen hatte, meinen Namen: Erstmals waren die Startnummern auch mit den Vornamen der Läufer bedruckt! Wie abgemacht, stand Peanut an der bekannten Stelle bereit mit dem ersten Getränk. Der Main war erreicht. Leicht steigend und mit einem Lüftchen von vorn führte die Alte Brücke rüber nach Sachsenhausen. Mit den Zwischenzeiten im Kopf fiel ich in ein wahnsinniges Loch. Jetzt ging es nur noch darum, wenigstens aufrecht ins Ziel zu kommen. Im Yuppietum der Schweizer Straße erklärte einer seinem Weib: „Vorne, die laufen wenigstens noch ´n richtiges Rennen gegeneinander!“ Nur weiter, immer weiter vorwärts!... Nach 15 Kilometern hing ich schon mit sechs Minuten hinterher. Und dann - hundert Meter weiter, an der Galopprennbahn Niederrad - überholte mich ein langer, sehr abgeklärt wirkender Mann: der Weckruf genau zur rechten Zeit. Zu zweit begannen wir das Feld aufzurollen. Von Osten nach Westen wurde Mann für Mann niedergemacht. Umweht von Winden ging es durch die leeren Straßen der Bürostadt Niederrad...
 
Kilometer 21 bis 30:
Zurück auf der Nordseite mit einem Gruß an die Wiege des Marathons
 
... und nach Unterquerung der A5 war die Hälfte überstanden. Die besten Kilometer lief ich auf der von der Stadtautobahn eingequetschten Zur Frankenfurt und am Schwanheimer Wald entlang. Alles im Schatten von Sportkamerad Unbekannt hängend. Nachdem im Kern von Schwanheim wie alljährlich die Heinz-Berg-Group mit Hardrock vorwärts gebumst hatte - Jethro Tulls „Locomotive Breath“ bei uns -, folgte die zweite Vollverpflegung. Mein Komplize verpflegte sich, ich verlor ihn aus den Augen und lief allein über den Main, durch Nied und in den westlichen Vorort Höchst hinein. Hinterm Bolongaropalast führte ein scharfer Haken an der Eckkneipe „Kaiser Brunnen“ vorbei. Ein kleiner Schwenk nur... durch die offene Tür... ein kühles Blondes... und dann weiter? Oh, nein: Dazu war ich noch zu sehr Sportler. Zudem putschte am Wendepunkt der Hexenkessel am Andreasplatz und gleich darauf würde Peanut mir die zweite Trinkflasche und ein Kohlenhydratgel reichen. (Im Ziel sagte sie mir, daß sie vom Gesindel in Höchst angemacht wurde. Es sei gepfählt!) Meine Zwischenzeit am 30. Kilometer deutete auf ein Ende um 3:20 Stunden hin.
 
Kilometer 31 bis 40:
Über die Mainzer Landstraße zurück nach Mainhattan
 
Die Leiden begannen auf der windgepeitschten Mainzer Landstraße. Ich nahm zwei Gänge raus und quetsche mir den Gelpack in den Mund. Mein Wegkamerad schloß wieder auf. Mit Gestrüpp zur Linken und der Ost-West-Achse in Richtung Innenstadt voraus, ging noch mal ein Ruck durch diesen verpfuschten Marathon. Der Kilometer 35 war nach 2:43 Stunden passiert. Westwind war angekündigt. Wind, der ins Ziel tragen sollte. Aus dem prophezeiten Freund wurde jedoch ein Feind. Ein immer stärker werdender Sturm, der aus allen Richtung blies und das Vorankommen erheblich erschwerte. In der Walachei zwischen Nied und Griesheim starben die Zeiten nur so dahin, mein Begleiter fiel wieder zurück, und es folgte der Stadtteil Gallus. Mit dem Körper an der Grenze und im Geiste zerstört, sah ich fremde Gestalten am Rande. Aber mein Kampf war längst ein anderer: der gegen den Sturm! Daß der 38. Kilometer in der Mainzer Landstraße stand, klang wie Hohn. Denn das Einzige, was in der Landstraße idyllisch ist, ist ihr Name. Ansonsten herrschen hier die Türme des Frankfurter Bankenviertels. Unterm 208 Meter hohen Westend-Tower war - pardauz! - ein Werbetor umgestürzt. Helfer kämpften gegen das Unausweichliche an. Geduckt kam ich gerade so hindurch. Über die Taunusanlage ging es wieder in die Innenstadt. Auf der Hauptwache fegte der Sturm Trinkbecher von den Tischen. Radfahrer konnten sich nur mit Mühe im Sattel halten. Aufgeben kam jetzt aber nicht mehr in die Tüte. Und so ging es weiter...
 
Kilometer 41 bis 42,195:
Die Hexenkessel zwischen den Wolkenkratzern
 
... mit dem Mut der Verzweiflung und dem Schutz der Menschenkette über den Goetheplatz zum Opernplatz. „Erbarme, zu spät, die Hesse komme“: Die Rodgau Monotones hatten die Applauskurve gerockt - waren aber längst verschwunden. Nun war es nicht mehr weit. Aber was zum Teufel war das? Unter den Pfeilern der Deutschen Bank wütete eine Windhose! Manche gingen geduckt. So nah am Ziel - und wehrlos ausgeliefert. Zum 41. Kilometer vorgedrungen, riß mir eine Böe die Füße vom Boden. Um ein Haar wäre ich noch gestürzt. Ein letztes Aufbäumen - und ins ZIEL. Mit rasendem Herz rannte ich über die Linie unterm „Hammering Man“ - - in einer neuen Bestzeit von 3:19 Stunden! Völlig absurd! Aber vielleicht will die Vorsehung, daß ich weitermache? - Hinterm Strich das Übliche: Medaille, Wärmefolie und als Lohn für die Anstrengung eine Trinkflasche von Power-Bar.
 
Lang, dünn und schokoladenschwarz: die Matadore aus Kenia sehen alle gleich aus. Dabei kann auch mal einer gewinnen, den vorher keiner auf dem Zettel hatte. Ein 28jähriger namens Eliud Kerling trug nach 2:12:35 Stunden den Sieg davon. Seine Landsmänner Cherono, Moiben und Rutto machten die schwarze Armada perfekt. Um zehn Minuten geschlagen, kam als erster Deutscher der Hamburger Green ins Ziel.
Der Kampf in einer BILDERTAFEL... anklicken............
FAZIT
 

Ausstrahlung: Kühle Bürohochhäuser, Straßenschluchten zwischen Stahl und Glas, und eine Strecke auf weitem Asphalt. Die Organisation arbeitete mustergültig durchgetaktet. Doch es haperte an Schutz gegen den Wind in den Vorstadtbrachen im Westen. Wirkung: Der Sturm hatte für unfaire Bedingungen gesorgt. Nur 233 Läufer knackten die drei Stunden. Mir selbst hatte Jeanett fünf bis zehn Minuten geraubt. Einzig der 764. Platz unter 7761 Startern verzieh das Ergebnis. Und (auch wenn jener heute nur als Hase lief): Ich kam zehn Minuten vor Waldemar Cierpinski ins Ziel. Ich sag´ nur Montreal 1976 und Moskau 1980... - Für die Materialinteressierten: Mein Schuh hieß Asics Gel Kayano VII.
 
Salutionen
an Peanut, unsere Freunde in Kalabrien, und den Läufer, der sich für mich aufopferte und die Qualen in diesem Sturm-Lauf mit mir teilte: Gosmann (Braunschweig). Am Ende war ich mit Frankfurt im Reinen. Ich hatte ein neues Leben kennengelernt.
 
Nachschlag
Die Unwetterzentrale hatte eindringlich gewarnt, am 27. Oktober auf die Straße zu gehen. Sportveranstaltungen wurden flächendeckend abgesagt. Der Frankfurtsieger wäre bei der Ehrung beinahe vom Treppchen geblasen worden. Die Menge suchte Schutz in geschlossenen Räumen. Im Stadtteil Sachsenhausen entwurzelte der Orkan Bäume, zerstörte Oberleitungen legten den Nahverkehr lahm, auf dem Frankfurter Flughafen wurden 30 Flüge gestrichen. Hochhäuser wankten. In Hessen starben zwei, in Deutschland elf Menschen durch „Jeanett“.
 
 

Kampfläufer Vitus, Oktober 2002
 
.:: ZAHLEN UND ZEITEN ::.
Wetter: etwas Regen, 14ºC, Sturmwinde aus verschiedenen Richtungen bis zum Orkan (Stärke 8 bis 12)
Zuschauer: ca. 100
 000
 
Gesamtteilnehmer
(Marathon, Handradfaher, Rollstuhlfahrer, Kufenroller, 5 km)
Gemeldet:
14
 303
Am Start: 10
 577
Im Ziel: 9967
 
Marathonläufer
Gemeldet:
10
 251 (M: 8800 / W: 1451)
Am Start:
7761 (M: 6715 / W: 1046)
Im Ziel: 7247 (M: 6293 / W: 954)
 
Männer
1. Eliud Kerling (Kenia) 2:12:32
2. Henry Cherono (Kenia) 2:12:46
3. James K. Moiben (Kenia) 2:12:56
4. Barnabas Rutto (Kenia) 2:14:04
5. Marek Dryja (Polen) 2:14:32
6. Daisuke Isomatsu (Japan) 2:14:51
 
Frauen
1. Maria Abel (Spanien) 2:26:58
2. Luminita Zaituc (Deutschland) 2:29:57
3. Inga Juodeskiene (Litauen) 2:31:29
4. Lena Gavelin (Schweden) 2:33:40
5. Vera Notz-Umberg (Schweiz) 2:38:10
6. Natallia Bendik (Rußland) 2:43:27
 
Kampfläufer Vitus
Startnummer:
806
Nation: Deutschland
Zeit: 3:19:35
Platz:
764 von 6293 bei den Männern
Platz:
174 in Klasse M40
Zwischenzeiten
05 km: 0:22:20
10 km: 0:45:53
15 km: 1:09:06
20 km: 1:31:37
25 km: 1:54:45
30 km: 2:17:59
35 km: 2:43:45
40 km: 3:09:30
HM 1: 1:36:44
HM 2: 1:42:50
 
Ergebnisse
Frankfurt-Marathon