33. PARIS-MARATHON, 5. April 2009
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AUFBAUKÄMPFE
Gießener Silvesterlauf (Halbmarathon), 28.12.08
Altenbusecker Halbmarathon, 24.1.09
Mörfelder Halbmarathon, 15.2.09
Bad Kreuznacher Halbmarathon, 15.3.09
STRECKE ¤ VORBEREITUNG ¤ MARATHON ¤ STATISTIK ¤ BILDER
Ein Feldzug nach Paris
 
 
Die faszinierende Gloriole der Stadt an der Seine, die Schönheit der Strecke, die alte Tradition (1896 als Paris-Conflans, seit 1976 als Paris-Marathon), sowie die Teilnehmerzahl, machen den Marathon durch Paris zum drittgrößten Europas nach London und Berlin. 2009 begrüßte der Tour-de-France-Veranstalter ASO 32
 000 Starter. Bedingung zur Teilnahme war ein sportärztliches Attest. Im Fragebogen „Le certificat médical“ bescheinigt der Doktor Sporttauglichkeit. Überprüft wird diese Auskunft nicht, sie feit auch nicht vorm Tod. Aber ein französisches Gesetz von 1999 will es so, und es sichert den Veranstalter ab. In Deutschland muß der Läufer die Ausstellung beim Mediziner aus eigener Tasche bezahlen - meine Partnerin bsw. achtzig Euro!
 
Mit dem NEW-YORK-Marathon war für Peanut und mich der höchste Gipfel erklommen. Danach hätten wir die Schuhe an den Nagel hängen können. Zum kompletten Medaillensatz der Majors fehlte uns aber noch CHICAGO. Ein Marathon im Frühjahr sollte die Zeit bis zum Oktober überbrücken. Für BOSTON hatte ich als Zeitqualifizierter garantiertes Startrecht. Auch Rom, Rotterdam und Hamburg kamen in Betracht. Und uns blieb immer noch Paris... Weil uns Wettkämpfe in der Fremde beflügeln, Paris eine schnelle Strecke versprach, und auch die geographische Nähe den Marathon für uns reizvoll machte, fiel die Entscheidung auf die Seinemetropole. Am 17. November hatten wir uns über den Reiseveranstalter Interair angemeldet. Einen Tag später, um 14.10 Uhr, war das Teilnehmerlimit erreicht und die Meldeliste geschlossen. Als Ziel hatten wir 3:59 Stunden (Peanut) und 2:49 (Vitus, erzwungener Ruhestand erlaubte tägliches Training) angepeilt.
 
.:: DIE STRECKE ::.
Der Marathon de Paris bewegte sich auf einem flachen Kurs ohne enge Kurven durch die französische Hauptstadt. Nach dem Start auf den Champs-Élysées führte der Kampf über die Place de la Concorde und Place de la Bastille in Richtung Osten bis zum Bois de Vincennes. Nach zehn Kilometern im Bois de Vincennes ging es über die Porte de Charentone zurück in die Innenstadt. Am 25. Kilometer berührte die Route erstmals die Seine. „Rive droite“ (am rechten Ufer) ging es nun flußab vorbei an Stadtinsel, Notre-Dame, Tuileriegarten, Eiffelturm und der Place du Trocadéro. Am Bois de Boulogne angelangt, verliefen die letzten neun Kilometer erneut durch einen Wald. Mit der Prachtstraße Avenue Foch öffnete sich der Blick auf das Ziel vorm mächtigen Triumphbogen. Zweihunderttausend Zuschauer wurden erwartet. In der Summe der Spitzenzeiten war Paris 2008 der zweitschnellste Marathon der Welt (nach London)!
 
.:: DIE VORBEREITUNG ::.
Das LAUFTAGEBUCH vom 15. Dezember 2008 bis 5. April 2009:
 
 
1. Wo. (132 km): Laufen ohne Schmerzen? Das kenne ich schon lange nicht mehr. Seit dem New-York-Marathon verfolgte mich eine entzündete Plantarsehne, auch Plantar Fasciitis genannt. Ich lief also seit sieben Wochen unter Schmerzen im Fußgewölbe, die weder durch Schonung noch Schmerzmittel verschwanden. Dazu forderte der Winter seinen Tribut. Besonders Peanut konnte wegen ihres Dienstes nur auf beleuchteten Wegen trainieren. Manchmal waren wir auch im Schein einer Stirnlampe unterwegs.
 
2. Wo. (108 km): Gleich der erste Wettkampf endete katastrophal...
 
.:: DER 1. AUFBAUKAMPF ::.
 
36. INT. GIESSENER SILVESTERLAUF, 28.12.08
(Halbmarathon)
Der Berg rief (eine harte Nuß vorm Absprung ins Neue Jahr)
 
Gießen war der Zeit drei Tage voraus. „Rund um den Schiffenberg“ stieg an einem Tag, der gar kein Silvester war. Dem Aberglauben zum Trotz fanden sich mehr als 800 Läufer zur vorgezogenen Feier ein: eifrige Durchtrainierer, Triathleten, Serotoninjunkies, dazu die ihren Gänsebraten ausschwitzenden Gesundheitsläufer (welche später als einzige die Korken knallen ließen). Gießen war auch kalt, beißender Wind pfiff übers Land. Vom Uni-Gebäude „Philosophikum I“ ging es über den Unterhag und Anneberg auf den 281 Meter hohen Schiffenberg. Nach einem Schlenker durchs Tal von Petersweiher ging es noch mal auf Gießens Hausberg, und über den Hasenkopf wieder zurück zum Philosophikum. Insgesamt kamen 245 Höhenmeter zusammen. Zu den teils mächtigen Steigungen gesellte sich gefrorener Boden mit unheilvollen Dellen, Steinen und Furchen, sowie die Konstellation, daß die schnellen Halbmarathoner schon bald den Schwanz der 5- und 10-Kilometer-Läufer erreicht hatten, und sich in der Folge durch die Masse pflügen mußten... Der Kelch ging vom ersten Meter an mir vorbei. Ich kam überhaupt nicht vom Fleck, alles verlief wie in Froststarre. Dazu machte mir die Sehnenentzündung den Lauf rasch zur Hölle. Jeder zweite Schritt ein Schmerz - und keine Möglichkeit zum Ausstieg. Damit mußte ich die einundzwanzig Kilometer bis zum Ende durchhalten, und lag im Ziel acht Minuten über der eigenen Bestmarke. Peanut war ebenfalls ohne jede Erwartung gestartet und jenseits von zwei Stunden locker durchgetrabt.
 
Im Ziel gab´s zwei Überraschungen der positiven Art. Mein ehemaliger Kollege Markus - zuvor ein guter Radrennfahrer - hat das Rennrad in den Keller gestellt und sucht nun im Triathlon (oder Langstreckenlauf) einen neuen Sinn. Markus lief die „10“, wir trafen uns nach dem Rennen. Ebenfalls im Ziel stieß ich auf einen Bekannten aus der Frankfurter Subkultur. Ralf, der ausgeschiedene Mitgründer der Postrocker Daturah, hatte in antiken Turnschuhen seinen Einstand über die „21,1“ gegeben. Markus wie auch Ralf hatten mit 43 Minuten und 2:00 Stunden kraft ihrer späten Jugend ansehnliche Zeiten hingelegt. Am Ende stand jedoch Verdruß. Die Ehrungen der sechs Schnellsten ihrer Alterklasse ließ erst ewig auf sich warten... und wurde - als es endlich soweit war - auf die ersten Drei beschränkt. Es war der Güte des Wettkampfbüros zu danken, daß wir nach zwei pulstreibenden Stunden zumindest mit Urkunden die Heimfahrt antreten durften. Adieu Gießen!
 
 
ZAHLEN UND ZEITEN
 
Wetter:
heiter, -4ºC, leichter bis mäßiger Wind
 
Teilnehmer im Ziel:
797 (Halbmarathon, 10 km, 5 km, 1,2 km)
Halbmarathonläufer im Ziel: 299
 
Männer
1. Jan-Mattis Kuhn (Eschenburg) 1:15:43
2. Timo Weckmann (Krofdorf-Gleiberg) 1:18:11
3. René Freisberg (Frankfurt) 1:18:12
... Kampfläufer Vitus (Frankfurt) 1:32:43 (5. M45, 37. Gesamt)
 
Frauen
1. Lea Bäuscher (Krofdorf-Gleiberg) 1:27:07
2. Andrea Meuser (Friedberg-Fauerbach) 1:29:24
3. Heike Grob (Flieden) 1:39:48
... Peanut (Frankfurt) 2:02:56 (9. W45, 231. Gesamt)
 
Ergebnisse
VfB 1900 Gießen
Der Kampf in einer BILDERTAFEL - anklicken:
3. Wo. (105 km): Nach Gießen konnte ich kaum auftreten. Der Gang zur Ärzteschaft geriet zu einer diffizilen Odyssee von einem Quacksalber zum anderen - vom Hausdoc über Physiotherapie und Orthopädie bis in ein Sanitätshaus. Der eine wollte nur mein Geld, beim anderen mußte ich mich schämen, Mensch und nicht Maschine zu sein; der nächste hielt abwertende Vorträge über die Monotonie des Marathonlaufs; und der letzte erwies sich wiederum als Affe ohne Interesse. Kurzum: Nach zweifelhaften Untersuchungen vom Röntgenlabor bis zur Fußdruckverteilungsmessung drohte das Ende der Laufkarriere. Der frühere Spitzenläufer Kurt Stenzel schrieb mir: „Plantarfascitis ist meist langwierig. Ein MBT kann, wenn man richtig damit umgeht, Linderung bringen, da der Druck weggenommen wird. Fußmassagen, Dehnungen und Fußkräftigung sind elementar wichtig. Die ständige Druckbelastung muß minimiert werden. Laufen mit Schmerzen ist Mist, da Du mit Ausweichbewegungen nur noch mehr Probleme verursachst. Ob Paris geht???? Aber Du wirst wieder Laufen können, wenn Du Dich um Deinen Fuß kümmerst. Geduld und Pflege sind wichtig.“ Peanut grübelte: „Wenn das kein Zeichen ist... Wir sollten aufhhöchstpreisige ren!“ - Ich behandelte das Problem mit alten Hausmitteln: Pferdesalbe, Dehnen und Fußabrollen über eine eisgekühlte Flasche.
 
4. Wo. (160 km): Frau Holle im Reich über den Wolken half, den Schmerz besser zu ertragen: Am Boden lag eine geschlossene, dicke Schneedecke, die die Schläge von den Füßen nahm. Auf Schnee folgten Strömungen arktischer Herkunft. Ich bin bei Temperaturen von 16 Grad unter Null gelaufen. Und das war überaus beklemmend! Neben Eisbehandlungen versuchte ich die Sehnenreizung über die Schuhe in den Griff zu bekommen. Ich habe eine Innensohle so zurechtgeschnitten, daß die gereizte Sehnenplatte nicht mehr reibt. Dazu laufe ich - neben extra weichen Sänften - gelegentlich Schuhe aus der „Free“-Schusterei Beaverton, Oregon, die für stärkere und flexiblere Füße sorgen sollen...
 
5. Wo. (170 km): Auch in dieser Woche durften wir den Fuß auf das Schneeröckchen von Mutter Erde setzen. Frankfurts abgetretene Pfade lagen weiterhin unter ungewohntem unbeflecktem Weiß! Und noch ein Zeichen von oben: Am Donnerstag mußte in New York ein Airbus notlanden - auf dem Hudson-Fluß in Höhe der 48. Straße. Dort, wo wir vor elf Wochen unser Marathon-Quartier hatten... Die Gebrechen sind mir mittlerweile in Fleisch und Blut übergegangen, sie sind wie ein vertrauter Wegbegleiter. Die Sehne links brannte nun nicht mehr so stark, dafür stach und drückte es im rechten Knöchel. Aber die Umfänge mußten weiter gesteigert werden. Schließlich werden die Helden des Sommers im Winter gemacht! Von dieser Etappe an übten wir unter den neuen Anleitungen des Greif-Club: Peanut nach „T5Z“ (fünf Wochentage), ich nach „T7Z“ (täglich, mitunter auch zweimal am Tag).
 
6. Wo. (126 km): Nach dem Leib lag nun auch die Seele wund......
 
.:: DER 2. AUFBAUKAMPF ::.
 
32. ALTEN-BUSECKER WINTERSERIE, 24.1.09
(Halbmarathon)
Drei rassige Runden durchs Busecker Tal
 
Buseck war für uns ein spontanes Ding. Einerseits war am Vortag die Wasserwalze „Joris“ übers Land gerast. In einer stürmischen Nacht hatte es wie aus Kübeln gegossen. Damit stand das Rennen auf der Kippe. Ferner hatte es zwischen Peanut und mir Überlegungen gegeben, die mir einen schlechten Traum besorgten und sogar die Fortführung des Unternehmens „Paris“ infrage stellten. Die Entscheidung fiel am Wettkampfmorgen: Strahlende Sonne und milde Luft ließen uns nach Mittelhessen fahren. Ein „Minicar“ brachte uns von Gießen ins Busecker Tal. Die Schaltzentrale befand sich in der Rudolf-Harbig-Halle, die an den Dresdner Weltrekordläufer erinnert, der in den Abwehrschlachten im Osten den Soldatentod fand. Von dort war es nicht weit zur Rennstrecke.
 
Nach dem Start im Climbacher Weg ging es gegen den Uhrzeigersinn am Wald lang erst nach Osten, dann durch den Seewald in Richtung Norden, dort zwei Kilometer längs zur Autobahn, aus dem Wald hinaus durch eine Siedlung bis zum Kuhtriebwald, und von dort über die Waldstraße zurück zum Ausgangspunkt. Keine leichte Strecke! Gleich zum Auftakt lauerte ein Gefälle, das die kühlen Muskeln heftig strapazierte. Nach einigen Eisplatten und gefrorenen Kuhfladen und Pferdedung türmte sich ein Hang von einem halben Kilometer durch Wald, Matsch und Wasser auf. Darauf ging es nach einem Querfeldein über einen Sportplatz rasant bergab... und wo ein Ab war, kam auch wieder ein Auf. In diesem Falle über drei ruppige Rampen, die den Muskeln den Rest gaben und den Rundkurs von sieben Kilometern und 72 Höhenmetern vervollständigten. Eine Runde, die für den Halbmarathon gemäß Adam Riese dreimal zu durchlaufen war und in der Summe 216 Höhenmeter ergab.
 
Obwohl die 230 Angetretenen fast durchweg erfahrene Vereinsläufer waren (in den Listen tauchten nur zwanzig Vereinslose auf), war dann trotzdem alles wie immer im Halbmarathon: Nachdem sich auf den vier wilden Auftaktkilometern alles sortiert hatte, begann der erbitterte Kampf um jede Position und jeden Meter Raumgewinn. Ein Kampf, den immer der mit der stärkeren Physis und den besseren Anlagen zum Autismus gewinnt. Beherrscht wurde das Rennen vom Marathon-Vielstarter Diehl und dem langhaarigen Youngster Kuhn, der den Platzhirsch bezwang und seinen Sieg vom Gießener Silvesterlauf wiederholte. Ich selbst konnte meinen Ausrutscher in Gießen um 6 ½ Minuten ausmerzen und rangierte nach 1:25 Stunden - trotz Krampf im Oberschenkel - als erster Vereinsloser auf Gesamtplatz 23. Peanut hatte ein weiteres Mal das Rauf und Runter nicht behagt. Sie mußte lange allein klarkommen, war am Ende „bis an die Kotzgrenze gegangen“, und hatte zumindest ein Ergebnis unter zwei Stunden abgesichert.
 
Alles in allem erwies sich Buseck als eine herzige Sache mit dem ungehetzten Charme alter Volkssporttage. Ein Dank an Laufführer Arbesmann und seine Mannschaft von der TSG Alten-Buseck!
 
 
ZAHLEN UND ZEITEN
 
Wetter:
zuweilen sonnig, 5ºC, schwacher Nordwestwind
 
Teilnehmer im Ziel:
223 (Halbmarathon, 5 km, 2 km, NW)
Halbmarathonläufer im Ziel: 184 (M: 156 / W: 28)
 
Männer
1. Jan-Mattis Kuhn (Eschenburg) 1:12:09
2. Marco Diehl (Friedberg-Fauerbach) 1:12:26
3. Lars Siegmund (Marburg) 1:17:45
22. Kampfläufer Vitus (Frankfurt) 1:25:58 (4. M45, 23. Gesamt)
 
Frauen
1. Lea Bäuscher (Krofdorf-Gleiberg) 1:24:27
2. Julia Galuschka (Wieseck) 1:27:44
3. Hanna Rühl (Lollar) 1:33:47
21. Peanut (Frankfurt) 1:58:31 (9. W45, 161. Gesamt)
 
Ergebnisse
TSG 1901 Alten-Buseck
GPS-Strecke
Jogmap
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7. Wo. (161 km): Essen. Trinken. Laufen. Schlafen. Sonst nichts! (Laufen oft nur noch nur auf innerem Autopiloten): Das ist doch kein Leben! Selten fiel mir eine Woche so schwer wie die nach dem Halbmarathon von Buseck! Peanuts Aufopferung für Paris war ungebrochen. Sie lief in diesem Abschnitt erstmals 100 Kilometer zusammen.
 
8. Wo. (144 km): Trotz schweren Zeiten und einer sich zuspitzenden Lebenssituation haben wir - statt alles abzublasen - am Ziel „Paris“ festgehalten. Peanut mußte auf ihrer langen Runde dreieinhalb Stunden strömenden Regen bei Werten knapp über Null durchstehen. Ich wiederum habe die zweite Hälfte meiner 35-Kilometer-Runde mit einer Mordswut im Ranzen in 84 Minuten heruntergeprügelt.
 
9. Wo. (114 km): Ein Waldrennen unter Gefahr fürs Leben......
 
.:: DER 3. AUFBAUKAMPF ::.
 
32. HALBMARATHON DER SKV MÖRFELDEN, 15.2.09
Alles, nur keine Höhenflüge unter den Jumbos von Rhein-Main
 
Waldfelden - das Davor, das Danach: Es glich einer Latte von Gebrechen. Das zarte Knospen einer Form wurde gleich doppelt zerstört. Erst durch Sturmtief „Quinten“, das mich mit einem Bazillus traf. Und dann durch einen Bagger, der mir beim Training den Weg verstopfte. Beim Ausweichen hatte ich mir eine Zerrung im Oberschenkel eingefangen. Dazu kamen immer wieder Schmerzen in der Plantarsehne. Damit war die Form kaputt und an einen Halbmarathon eigentlich nicht zu denken. Am Freitagmorgen bezifferte ich meinen Start auf zehn Prozent. Aus der langen Planung, dem Mangel an Wettkämpfen und einer Abschwächung der Infektion heraus, sind wir aber angetreten.
 
Wenig ergötzend auch die Fakten für die Organisation, die - Systemsterben hin, Dauerfrost her - zum 100. Geburtstag ihrer Fußballabteilung mit einem Teilnehmerschwund von vierzig Prozent bestraft wurde. Bei einem der größten Halbmarathons Hessens sollten nur 313 ins Ziel auf der Starkenburg-Kampfbahn laufen! Bei strahlender Sonne und Temperaturen unter dem Gefrierpunkt war das traditionelle Dreieck im Treburer Unterwald zu durchlaufen. Zweimal je zehn Kilometer. Oben am Himmel: die Düsenflieger im Landeanflug auf Frankfurt. Unter den Schuhen: platte Naturwege durch eine braun-grüne Waldeinsamkeit. Verbunden und vollendet wurde das alles von je einer Runde auf Tartan.
 
Nach einem Start mit 15 Stukis kam der befürchtete Kollaps des Muskels schon nach sieben Kilometern. In der anschließenden Schlacht zwischen Vernunft (Aufgabe) und Willen (Durchhalten) bin ich den Mittelweg gegangen, und habe das Rennen mit halbem Einsatz und fast der identischen Zeit wie im Vorwinter zu Ende gebracht. Eine schnelle Trainingseinheit: mehr war das nicht. Und es hat verdammt geschmerzt, sich den Gegnern wehrlos zu beugen. - Peanut war gesund ins Rennen gegangen, hatte sich nach ihrem fleißigen Training bei Nässe, Kälte und Finsternis aber mehr ausgemalt. Zwar konnte sie ihre Zeit aus dem Vorwinter um vier Minuten unterbieten, landete mit 1 Stunde und 55 Min. aber wieder nur ziemlich weit hinten.
 
Im Kabinentrakt gab´s ein Wiedersehen mit dem Drittplatzierten Berbalk von Germania Halberstadt, der sich mit mir vorm Lauf präpariert hatte. Es war kurios, daß der kleine Mann aus dem Ostharz mich - nach dem Alter befragt - später plötzlich ehrfürchtig siezte.
 
Salutionen
an Altmeister Behle (heute wieder Erster bei den Masters), der uns im Auto heimbrachte. Damit war die Operation „Waldfelden“ mittags um eins schon abgeschlossen.
 
Eine Randnotiz
Bei der zur gleichen Zeit stattfinden Skijäger-WM wurde dem „Kannibalen“ Björndalen trotz Verlassens der Strecke und einer Abkürzung von 13 Metern (bei 12,5 Kilometer) der Titel nach Protest und Gegenprotest doch noch zugesprochen. Könnte das im Umkehrschluß bedeuten, daß Marathonläufer, die sich nicht auf der „Blue-line“ halten können - sprich alle außer der Spitze - künftig das Rennen nach 42 statt 42,195 Kilometern beenden dürfen?
 
Und eine Ergänzung
Am Mittwoch nach dem Halbmarathon wurde das im zehn Kilometer nördlich gelegenen Kelkheimer Wald von Ausbau-Gegnern errichtete Hüttendorf von der Polizei geräumt. Der Rodung im Auftrag der „Fraport AG“ stand anschließend nichts mehr im Wege.
 
 

ZAHLEN UND ZEITEN
 
Wetter:
sonnig, -4ºC, Windstille
 
Teilnehmer im Ziel:
313 (M: 252 / W: 61)
 
Männer
1. Timo Grub (Hergershausen) 1:12:57
2. Johannes Moldan (Dörlesberg) 1:15:22
3. Marcel Berbalk (Halberstadt) 1:16:00
... Kampfläufer Vitus (Frankfurt) 1:28:53 (9. M45, 36. Gesamt)
 
Frauen
1. Claudia Wassermann (Rüsselsheim) 1:36:18
2. Simone Roth (Hechtsheim) 1:37:31
3. Carolin Clauß (Frankfurt) 1:37:51
... Peanut (Frankfurt) 1:55:13 (5. W45, 222. Gesamt)
 
Ergebnisse

LG Mörfelden-Walldorf
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10. Wo. (161 km): Ein Wunder! Nach viermonatiger Pein war meine Plantarsehnenentzündung - ganz ohne Weißkittel! - wie aus dem Nichts abgeklungen. Gleichfalls über Nacht verschwunden - so als wäre nie etwas gewesen -: die Muskelverletzung, die mir den Halbmarathon in Mörfelden verdarb. Oh, man wünscht sich mehr von diesen mirakulösen Heilungen......
 
11. Wo. (154 km): Um ehrlich zu sein: Paris, Frankreich, dieser Übergangs-Marathon: Das rechte Feuer habe ich von Anfang nicht gefunden. Sowas wie innere Leidenschaft hat es nie gegeben. Die tägliche Schinderei immer allein wurde am Dienstag von 17 x 400 Metern auf Aschenbelag gekrönt. Ich habe diese erquickende Übung gleich doppelt absolviert. Am Vormittag allein, nachmittags noch mal als Lok für Peanut. Zweimal 25, zusammen 50 (fünfzig!) Runden, rund 1 ½ Stunden im Kreis - selbst für Verrückte eine große Herausforderung! Peanut hatte diese Woche 103 Kilometer abgerissen.
 
12. Wo. (158 km): Nur noch verlorene Zeiten. Nach der ungünstigen Gegenwart zerbrach ich nun auch noch an den eigenen - vor Berlin 2008 - aufgestellten Trainingsrekorden und Umfängen. Das Ziel „2:49“ war endgültig abgehakt.
 
13. Wo. (115 km): Stets nach zwei Stunden Laufen bekam ich plötzlich krampfartige Stiche unter den linken Rippen. Mit großen Sorgen folgte die letzte Probe vorm Großkampftag am 5. April:
 
.:: DER 4. AUFBAUKAMPF ::.
 
19. SEPPEL-KIEFER-GEDÄCHTNISLAUF BAD KREUZNACH,
15.3.09
(Halbmarathon)
Auf Adlerschwingen durchs wilde Tal von Cruciniacum
 
„Wir müssen leider ohne Treppchen auskommen, es ist in der Reparatur.“ Diese Entschuldigung von DJK-Vorstand Mallmann vor der Siegerehrung sollte der einzige Wermutstropfen in diesem Rennen sein. Die Deutsche Jugendkraft „Adler“ 1920hatte im Gedenken an sein Gründungsmitglied Seppel Kiefer zum 19. Mal den Halbmarathon von Bad Kreuznach ausgerichtet. Peanut und ich wurden wie Helden in einem von Zeitnehmer Kaminski eigens für uns klargemachten roten Volvo vom Bahnhof abgeholt und ins Stadion Salinental chauffiert. In der neunten Morgenstunde hatten wir unser Ziel, das zwischen Hunsrück und Pfälzer Bergland eingebettete „Cruciniacum“ (so wurde das „Heim des Crucinius am fließenden Wasser“ von den Kelten benannt), erreicht.
 
Die Strecke bestand aus einer 5-Kilometer-Runde auf den flachen Asphaltwegen am Ufer der Nahe, die für den Halbmarathon nach einem Auftakt ums Stadiongelände viermal zu absolvieren war. Mit Blick auf die himmelhohen Felsen, die kilometerlangen schwarzen Reisigwände der Gradierwerke, die grüne Parklandschaft und die wilden Wasser der Nahe, ergab sich ein sehr stimmungsvoller Rahmen. Das Prädikat „schnell“ wurde von drei Rampen, teils aufgewölbtem Geläuf, einigen Haken, einem Lüftchen, sowie von Passanten und dem Nachwuchs der Kurzstrecken getrübt. Obendrein hemmte eine nebulöse Beschilderung die zeitliche Orientierung.
 
„Schneller, ihr Bube!“ Treu des Ansporns seines Onkels und einstigen Übungsleiters gab ein Neffe Seppel Kiefers ab 9.15 Uhr die Starts der einzelnen Wertungen frei. Punkt 9.45 Uhr fiel der Schuß für die 21,1-Kilometer-Strecke, die 91 Läufer beendeten. Immer den Einheimischen folgend, hatte ich bis zur Rennhälfte auf der achten Stelle gelegen. Nachdem die Kurzstreckler das Feld geräumt hatten, war jeder auf sich und den Kampf gegen die Uhr gestellt. Aber da die Schleife schon zweimal durchlaufen war, ging auch keiner mehr verloren. Mit der besseren Standkraft war ich eingangs der letzten Runde auf die vierte Stelle vorgedrungen. Beflügelt von diesem Erfolg lancierte ich nun eine Jagd nach dem Dritten - den ich in der letzten Biege vorm Stadion einholte. Und wäre das Rennen nur etwas länger gewesen, wäre alles möglich gewesen... Ich habe nie damit gerechnet, es noch mal in die Spitze zu schaffen. Der letzte Podiumsplatz lag ein paar Tage zurück: im Radsport 1982. Heute holte ich Bronze bei einem Halbmarathonlauf. - Meiner Freundin hatte ich im Falle eines Nichterreichens von 1:51 Std. angedroht, die 66 Kilometer Luflinie nachhause per pedes zurückzulegen. Sei es die drohende Strafe gewesen, oder das eiserne Training der letzten Wochen: Peanut machte ein famoses Rennen. Ebenfalls über weite Strecken allein gegen den Wind anlaufend, unterbot sie ihre alte Zeit um eine Minute und lief nach 1:51:56 Std. im Salinental-Stadion ein. Damit gewann sie den 3. Platz in ihrer Altersklasse und ein gutes Unken für Paris.
 
Durch das Fehlen des Podiums gerieten die Ehrungen zu einer Farce. Die drei Ersten ihrer Klasse durften ihre Urkunde nach stundenlangem Ausharren im kalten Wind nach Aufruf hinterm Zaun eines Nebenplatzes abholen. Wenig ruhmreich auch die Preise für den Kuchen danach, der im Adlerheim bei 1 Euro 70 pro Stück lag. Der größte Segen war aber sowieso, daß wir die Geschichte unbeschadet überstanden.
 
 

ZAHLEN UND ZEITEN
 
Wetter:
bedeckt, 10ºC, böig auffrischender Nordwestwind
 
Teilnehmer am Start:
606 (Halbmarathon, 10 km, 5000 m, 1300 m, 200 m)
Teilnehmer im Ziel:
520
Halbmarathonläufer im Ziel: 91 (M: 81 / W:10)
 
Männer
1. Dirk Karl (Grünstadt) 1:23:48
2. Michael Scherer (Kaiserslautern) 1:25:14
3. Mario Voland (Frankfurt) 1:25:24 (1. M45)
 
Frauen
1. Kerstin Alt (Hettenrodt) 1:40:22
2. Helga Bernhard (Frei-Laubersheim) 1:40:29
3. Andrea Hessle (Nassau) 1:40:43
... Peanut (Frankfurt) 1:51:56 (PB) (3. W45, 77. Gesamt)
 
Ergebnisse

SK-Cross
Der Kampf in einer BILDERTAFEL - anklicken:
14. Wo. (160 km):Ich hoffe Dir geht es heute besser und Du machst mal Pause. Gestern hast Du sehr schlecht ausgesehen, richtig ausgezehrt.“ So einen Notizzettel hatte ich am Freitag neben der Kaffeemaschine vorgefunden, geschrieben von Peanut. Es war eine dieser übernächtigten, antriebslosen und reizbaren Wochen mit deprimierenden Leistungen beim Training. Wir versuchten uns abwechselnd mit Durchhalteparolen zum Endkampf anzutreiben. Noch 14 mal Aufstehen...
 
15. Wo. (116 km): Die Tempoteile auf dem vorletzten Abschnitt waren der „Marathon-Renntempo-Test“ (18 Kilometer) und die „Lange Treppe hoch“ (3000-4000-5000 Meter im Marathontempo). Dazu kam der letzte lange Kanten von 30 Kilometer. Während Peanut diese Einheiten bei Sturm, Schnee und Regen durchstehen mußte, bin ich an den Vorgaben von Greif grandios gescheitert. Und: Ich litt nun unter Schmerzen im linken Knöchel. Der Knorpel zwischen Schien- und Sprungbein dürfte wohl vollständig zermörsert sein.
 
16. Wo. (32 + 42,195 km = Gesamt 2158 km): Boston kontra Paris: Am 30. März trafen die Unterlagen aus Hopkinton ein. Mit „Bib Number 2922“ stand mein Name in der Startliste für den Mythos „Boston“! Ohne Flug und Unterbringung, aber als einer von 25
 000 mit Startrecht - und herzgeboten! Aber Boston stieg nur 15 Tage nach Paris......
 
.:: DAS RENNEN ::.
 
33. MARATHON DE PARIS, 5 avril 2009
Freitag, 3. April
 
Auf dem Schienenweg sind Peanut und ich am Mittag nach keinen vier Stunden in Paris-Ost eingerückt. Blitzartig sozusagen. Und es blieben nur wenige Kilometer zur Unterbringung - die aber schier unüberwindlich werden können... Nach sage und schreibe einer Stunde hatten wir die notwendigen Billets für die Métro endlich gelöst und uns unter allgegenwärtigen Überwachungskameras nach La Défense, einem für die Zukunft erfundenen Geschäftsviertel im Westen der Stadt, durchgeschlagen. Wir fanden unsere Unterbringung zwischen entseelten Hochhäusern, dem postmodernen Triumphbogen Grande Arche und nekrophilen Anzugträgern unterm Dach des Kongresszentrums CNIT. In unserem vollständig kameraüberwachten, überklimatisierten und schallisolierten Hilton atmeten wir die Luft einer Klimamaschine und starrten aus gesperrten Fenstern auf eine kalte Welt aus verglasten Büros und anonymen Konferenzräumen im Halleninneren. Wir waren zum Warten verdammt... Abends um sechs Uhr durften wir einen Haken unter die Nummernausgabe im Rahmen der Marathon Expo am Parc des Exhibitions ganz im Süden der Stadt machen. Nach drei lockernden Runden um den Friedhof Nanterre, dem einzigen Grün im Betonghetto, stand uns nun noch die Beschaffung von Lebensmitteln bevor. Ein Markt namens „Auchan“ war uns empfohlen worden. Er fand sich in einem riesenhaften Einkaufszentrum, und dort stießen wir auf unendliche Regale mit einer Schwindel erzeugenden Flut von Etiketten zwischen denen man vor Überfluß nichts fand. Mit völlig zermarterten Gliedern kamen wir in der zehnten Abendstunde zurück ins Hotel. Bis an die Zähne bewaffnete Soldaten - in Strasbourg war die „Vague de Violence“ (Haß auf die Nato) entbrannt - sagten uns, wo´s langgeht. Nach hastig runtergeschlungenen Nudeln mit Tomatensauce sind wir um Mitternacht mehr tot als lebend ins Bett gefallen - hermetisch von der Außenwelt abgeschottet und beschützt von Soldaten mit MPs. In 33 Stunden war Start!
 
Sonnabend, 4. April
 
Nach dem Grauen von gestern konnte dieser Tag nur dem vagen Versuch einer Wiederherstellung gelten. Wir sind eine Dreiviertelstunde durch die Hightechstadt getrabt, haben im hiltoneigenen Frühstücksraum „Salon Briand-Adenauer-Nobel“ eine Apfelsine gegessen (die einzig verwertbare Nahrung), haben uns auf dem Zimmer Haferbrei und Nudeln mit „Escalopes de Dinde“ (Hähnchenschnitzel) gemacht, die speziell für den Paris-Marathon hergestellten schwarzen Transponder in die Schuhe geschnürt, den Treff mit den Interair-Hostessen wahrgenommen, und uns halb elf in die Falle gehaun. Während Peanut sofort zur Ruhe kam, lag ich noch bis halb zwölf wach. Vor der Tür patrouillierten wieder französische Gewehre.
Einzug unterm Triumphbogen (© Vitus)
Sonntag, 5. April
 
SALUT PARIS! 4.44 Uhr war es Zeit zum Aufstehen. Unser Frühstück sah „Pain de Mie complete“ (Vollkorntoast) mit Erdnußcreme, Banane, „Miel de la Champagne“ (Honig) und Moosbeeren vor. Dazu gab´s Kaffee und Kamillentee. Um 7.10 Uhr durften wir die Quarantäne verlassen. Tief durchatmen! Nach einem Tag in Kunstbeleuchtung und gefilterter Luft füllten sich Augen und Lungen endlich wieder mit rein natürlichem Licht und Luft. Vom Grande Arche ging es mit dem Vorstadtzug RER zur Place de l´Etoile, und um 7.45 (eine Stunde vorm Start) standen wir erstmals unterm Triumphbogen. Nun war im Eiltempo das Rennleibchen überzuwerfen (in Erinnerung an schöne Zeiten trug ich das Dynamo-Wappen auf der Brust), der Rucksack am Zelt abzuliefern, die richtige der strahlenförmig zum Triumphbogen zulaufenden Straßen zu nehmen, und sich in die Startzone zu quetschen. Oh, Champs-Élysées... Sechs Minuten vorm Schuß standen Peanut und ich auf Frankreichs berühmtester Meile. Nachdem wir monatelang bei teils klirrender Kälte und oft Dunkelheit und Nässe trainieren mußten, war es ausgerechnet in der Marathonwoche warm geworden. Am Morgen noch kühl, trieb die Sonne das Thermometer auf frühsommerliche Werte. Dazu stand die Luft fast still. Keineswegs rosige Vorzeichen... Als Wegzehrung sollten Bananen, Apfelsinen und Trockenobst (Aprikosen, Rosinen und Kochbananen) angeboten werden. Außer am Kilometer 35 (Powerade) gab es jedoch keine Energiegetränke, nur Mineralwasser in kleinen Flaschen.
 
Kilometer 0 bis 10:
Von der Prachtstraße der Elysischen über die Bastille zum Bois de Vincennes
 
Paris räkelte sich noch in den Laken, als um 8.45 Uhr das Bersten der Startpistole die Luft durchschnitt. In allernächster Nähe zur Elite hatte ich nach acht Sekunden die Zeitnahme passiert. Peanut startete mit Sichtkontakt zum 3:45-Zugläufer in einem Rutsch im selben Heerwurm. Von 39
 505 Registrierten machten sich letztlich 31 373 Marathoniens und Marathoniennes auf den Weg übers Pflaster der Champs-Élysées hinab zur Place de la Concorde. 30 332 sollten das Ziel erreichen. Nach dem Triumphbogen war der Obelisque der zweite berühmte Monolith auf dem Weg in Richtung Osten. Die antike Marmorsäule wird jährlich von der Schlußetappe der Tour de France gestreift. Gleich darauf breiteten sich rechts der prächtige Stadtgarten Tuilerien und die lange Fassade des Louvre aus. Man lief auf einer schönen Unbekannten mit dem klingenden Namen Rue de Rivoli! Der gelegentliche Ausruf „En garde!“ erinnerte mich bißchen an die berühmten Musketiere. Paris nahm den Marathon kämpferisch! Auf der Place de la Bastille, die mit ihrer Julisäule an die Siegessäule von Berlin erinnert, folgte das erste Buffet. Schon im dünnbesiedelten Vorderfeld kollerten zahllose weggepfefferte Flaschen über das Revolutionspflaster von Paris. In Peanuts Bereich würde es ein Minenfeld aus Trinkbehältern, Schwämmen und Obstschalen sein. Achtung, Achtung: Sturzgefahr! Viele strauchelten, rutschten aus, gerieten ins Stocken. Weiter ging es über die Place de la Nacion zum Pflasterkreisel im Boulevard Soul, wo neben dem nächsten Ravitaillement auch ein Spalier aus Menschen stand. Eins der wenigen - und das letzte für lange Zeit...
 
Kilometer 11 bis 20:
Für zehn Kilometer im Geisterwald von Vincennes
 
Nach elf Kilometern folgte der Eintritt in den Wald von Vincennes. Wohin der Blick hier ging: zartgrüne Bäume, blühendes Buschwerk, helle Lichtungen und mal asphaltiertes, mal kleingepflastertes Geläuf voraus. Unterbrochen wurde die stille Kulisse nur vom malerischen Schloß Vincennes, von Vogelgezwitscher und einigen Franzosen, die als illegale Tempomacher für ihre Kumpanen eingriffen (lasche Absperrungen machten es möglich). Im Übrigen lief jeder allein. Und das zehn Kilometer lang! Fast hatte der Kampf nun etwas von einer straffen Übungseinheit im Park oder einem Ausflug ins Grüne. Nicht der Hauch eines Gefühls in einem der größten Marathonläufe der Welt unterwegs zu sein. Gerade die Anstachelung von außen, dieses frenetisch Voranpeitschende habe ich jetzt, in der Einsamkeit der weiten Waldlandschaft, sehr vermißt. Schon am richtungsweisenden zehnten Kilometer war ich anderthalb Minuten langsamer als beim ungleich härteren New-York-Marathon gewesen. Aber die Straßen im Big Apple waren auch von verzücktem Millionenpublikum gesäumt... Im alten Wald von Vincennes fielen die Zeiten weiter ins Bodenlose. Nach 18 Kilometern blieb zur Rechten die Radrennbahn und Hauptwettkampfstätte von Olympia 1900 und 1924 zurück.
 
Kilometer 21 bis 30:
Durch das rechte Seine-Viertel zum Eiffelturm
 
Die Port de Charenton bedeutete Halbzeit, das Ende des Waldes und den Anfang auf dem Weg zurück in den Stadtkern. Wieder verlief die Route durch einen Kanal voller französischer Baukultur, die nie einen Bombenangriff erlebte. Nach 25 Kilometern war die Seine erreicht. Eine kurzes gepflastertes Gefälle führte hinab auf die Uferstraße, auf der es nun rechts der Seine - rive droite - dem Ziel entgegen ging. Unmittelbar nach dem Ausblick auf die Stadtinsel mit der Kathedrale Notre-Dame verschwand die Route in einem anderthalb Kilometer langen, von gelben Lampen nur spärlich ausgeleuchteten Tunnel unter dem Tuileriengarten. Neben Licht mangelte es in dort auch an Luft. Mitten in der Röhre hatte ich das Gefühl, den Boden unter den Füßen zu verlieren. Nach einer Rampe hinauf ins Licht, kurz nach Luft geschnappt, wiederholte sich dieses beklemmende Szenario gleich noch mal im Alma-Tunnel, dem Todesort von Prinzessin Diana. Zwischen Halbmarathon und Kilometer 30 war ich trotzdem sehr schnell gewesen und steuerte mit einer Zwischenzeit von 2:05 Stunden auf eine Endzeit von 2:55 Stunden zu.
 
Derweil fiel in der Spitze die Entscheidung. Erneut machten die anonymen und austauschbaren Kenianer und Äthiopier das Rennen unter sich aus. Nachdem bis Kilometer 35 eine hochkarätige Gruppe aus 15 Läufern zusammengerannt war, entführte überraschend der blutjunge Vinvent Kipruto die 50
 000 Euro Sieg-Prämie ins Schlaraffenland Eldoret. Nach einem Zermürbungskampf mit dem äthiopischen Debütanten Worka rannte Kipruto mit 2:05:47 Stunden nicht nur Streckenrekord, sondern die achtschnellste Zeit in der Geschichte des Marathonlaufs überhaupt. Damit ist der 22jährige in Kenia ein gemachter Mann, er wird eine Farm kaufen und seinen Stamm bis ans Ende aller Tage versorgen. Für einen Brasilianer stand Paris indes im Zeichen des Abschieds: Der 40jährige Vanderlei Lima, tragische Figur des Olympia-Marathons von Athen 2004, beendete als Zwanzigster in 2:20:31 Std. seine letzte Schlacht auf den Straßen dieser Welt.
 
Kilometer 31 bis 40:
Von der Place du Trocadéro übers Prinzenparkstadion in den Bois de Boulogne
 
Der Eiffelturm... Da rennt man einmal durch Paris, und ist dann sosehr auf den Kampf fixiert, daß man den Turm in Reichweite nicht sieht! „Rive gauche“ (am linken Seine-Ufer) stand das nicht zu übersehende Sinnbild der Stadt. Peanut sollte mir später davon erzählen, von diesem himmelkratzenden Eisengerippe, das von ihr als häßliches Drahtknäuel wahrgenommen wurde. Dafür bin ich eine Straßenecke weiter am Bordstein mit dem Fuß umgeknickt. Fernsehreporter sagen dann immer: „Das tut schon beim Zuschauen weh.“ Nach 33 Kilometern zweigte die Route in den Bois de Boulogne ab. Der Rest verlief im westlichen der großen Pariser Wälder. Kultstätten wie das 1897 erbaute Prinzenparkstadion (Austragungsort von Olympia 1924 und Fußball-Weltmeisterschaft 1938), die Pferderennbahn Hippodrome D´Auteuil und die rote Asche von Roland Garros aus dem Jahre 1927 liegen hier und wurden von uns gestreift. Auch der olympische Marathon von 1900 nahm im Wald von Boulogne seinen Anfang. Ein staubiger Feldweg wurde gekreuzt. Und überall sprießendes Grün, singende Vögel und - außer ein paar Kapellen mit weichem Pop und einigen Kinderwagenschiebern - kaum ein Mensch unterwegs. Nur ein weiterer Jogger, der als unerlaubter Helfer ins Geschehen eingriff. Erst mir „Allez, allez, allez, Kelly!“ zurufend (hielt mich wegen meinem Pferdeschwanz offenbar für Joey), dann einem Kameraden, den er zu einer Zeit unter drei Stunden antrieb. Frühlingserwachen im Bois de Boulogne! Die Anfeuerungen hatten den hübschen Effekt, daß ich nun den dritten Wind bekam. Nach einlullenden Wegstücken halfen mir die „Allez, allez, allez!“ das Tempo aufrecht zu halten. Und zwei Kilometer vor Ultimo fuhren die Organisatoren noch mal richtig auf: Am Bufett vom Kilometer 40 konnte sich der Marathonien neben körbeweise Obst und Trockenfrüchten auch an Rotwein laben.
 
Kilometer 41 bis 42,195:
Zieldurchlauf mit Blick auf den Arc de Triomph
 
Auch in Paris war das Phänomen zu beobachten, daß manche kurz vor Ultimo durch geistige Ermattung ins Gehen verfielen - und nach monatelanger Entbehrung Minuten vorm Ende den gewünschten Erfolg noch versiebten. Auf der Avenue Foch war das Ende eingeläutet. Die elegante Schlagader mit dem weißen Triumphbogen am Horizont war ebenso unauffällig wie die neun Kilometer davor. Tribünen existiert nicht, es gab kein Bad in der Menge, selbst der Strich nach 42,195 Kilometern war kaum wahrnehmbar. Fast schon in Lethargie konnte ich gerade noch eine Zeit unter der magischen Marke retten. Nach 2:58:47 Stunden hatte ich die Grand Boucle durch Paris abgeschlossen.
 
Nichts war es mit dem Aufstieg zur Championesse unterm Arc de Triomphe: Peanuts Traum von der „3:59“ wurde nicht Wirklichkeit. Der krafttötende Freitag hatte ihr noch am Morgen des Rennens in den Beinen gesteckt. Dazu kam das ungünstige Wetter. Peanut haßt Sonne regelrecht, und die Luft empfand sie so dick wie Wasser. Versteckt hinterm Zugläufer für 3:45 Stunden und getragen von der Welle der Läufer, lag mein Mädel dreißig Kilometer lange auf der Marschlinie für die angepeilte Endzeit unter vier Stunden. Nach 32 Kilometern ist Peanut dann aber unmerklich vor die Hunde gegangen. Die Überholung durch den Zugläufer mit dem 4:00-Std.-Rudel nahm ihr den letzten Wille. Trotz allem lieferte sie ein gute Leistung ab, und mit 4:07:39 Std. war zumindest ihre alte Bestzeit um anderthalb Minuten unterboten. Im ZIEL waren wir schlauer: Wir hätten in Rotterdam antreten sollen: Holland meldete fünf Grad weniger, der dortige Sieger war eine Minute schneller als der in Paris.
 
 
FAZIT
 
Paris hatte eine gute Organisation und verwöhnte mit feudaler Streckenversorgung und einer ansehnlichen, ebenen Strecke. Herrlicher konnte eine Erkundung von Paris kaum sein. Fragwürdig blieben die zwei luftarmen Tunneldurchquerungen. Ferner wies die GPS-Uhr eines Läufers aus Offenbach, der 2010 in Paris war, die Strecke um 800 Meter zu lang aus! Im Umkehrschluß wäre der Sieger Weltrekord gelaufen! Sehr bescheiden war die Atmosphäre am Rande. Mit Marathon hat Paris wahrlich nichts am Hut. Einheimische laufen unterm Radar. Folglich herrschte - außer an Champs-Élysées und Seine - gähnende Leere, besonders in den Wäldern Bois de Vincennens und Bois de Boulogne. Gerade auf den letzten sieben Kilometern, auf denen andernorts riesige Zuschauermassen antreiben, fehlte die Rückendeckung komplett. Wirkung: Obwohl Paris zu den ganz Großen zählt - der Weltverband verlieh Paris 2009 als einem von sieben europäischen Straßenläufen das Siegel Gold Road Race -, klafften zur Beletage von Boston, London, Berlin, Chicago und New York in puncto Strahlkraft Welten. Paris bezog seinen Reiz aus einer gewissen Leichtigkeit bis Provinzhaftigkeit. Besonderheiten: Die Urkunde gab es nur als Datei zum Selberdrucken. Paris versendete ferner auch keine Ergebnishefte. Es gab nur die Ergebnisliste in der Montagsausgabe der „L´Equipe“! Für die Materialinteressierten: Frau lief mit Asics Gel-3000, Mann mit Adidas adiZero Adios (Gebrselassies Weltrekordschuh).
Der Kampf in einer BILDERTAFEL... anklicken............
POST-MARATHON-KULTUR
 
Ursprünglich stand nach dem Marathon für uns das „Festival des Mondes du Crust-Over“ im Klub „Pena Festayre“ auf dem Plan. Der in Paris lebende Emmanuel von der Doom-Gruppe Northwinds hatte uns alle notwendigen Informationen dazu geliefert. Aber dann waren wir erstens zu kaputt, und zweitens hätte die Fahrt vom äußersten Westen in den Nordosten der Stadt eine Stunde gedauert. Es reichte auch nicht für ein französisches Abendbrot mit Bier beim Streifzug durch Défense. 6,80 Euro für ein Kronenbourg, 1664 & Co.: „Pardon?, frugen wir uns bei den Preisen. Letztlich haben wir uns in die erstbeste Metro gesetzt, sind an der „Pont de Neuilly“ aufs Geradewohl ausgestiegen, und waren in einem der wenigen erschwinglichen Orte in Paris: einem Chinalokal.
 
Montag, 6. April
 
Im Morgengrauen haben wir die Taschen gepackt und ausgebucht. Da wir den Inhalt der Minibar berührt hatten, wollte Monsieur Hilton uns 114 Euro abknöpfen. Die Elektronik hatte alles genau registriert. Wer weiß, was noch... Daher eine Warnung: Das Hotel „Hilton Paris La Défense“ ist nicht zu empfehlen! Sportler sind nicht willkommen. Deutsche erst recht nicht! NACH LA DÉFENSE NUR AUF KETTEN! - Nach erfolgreicher Flucht sind wir zwecks Medaillengravur zum Ladengeschäft „Les Créations Sportives Françaises“ im Viertel „Les Halles“ gefahren. Nur 30 der 30
 000 Ins-Ziel-Gekommenen waren an einer Personalisierung ihrer Plakette interessiert. Das Gravieren zog sich über eine Stunde. Kaum vorstellbar, hätten alle den gleichen Wunsch gehabt... Romantische Stunden blieben uns nicht. Alles, was wir sahen, waren Metro, Hotel, Strecke - und ein Pain (Brot) mit Camembert und Bier im Pariser Bistro „Café de L´Imprimerie“. Punkt 13.09 Uhr rollte unser Zug vom Bahnhof Paris-Ost zurück nach Deutschland. Tschüss und auf Nimmerwiedersehen, Paris!
 
Am 7. April habe ich schweren Herzens meinen Start beim Boston-Marathon (20. April) abgesagt. Am zweiten Mai traf die Urkunde mit dem Endresultat aus Hopkinton, MA ein: „M. Voland - NO TIME RECORDED“.
 
 
Kampfläufer Vitus, 12. April 2009
 
.:: ZAHLEN UND ZEITEN ::.
Wetter: sonnig, 16ºC, leiser Luftzug aus Nordwest
Zuschauer: ca. 220
 000 (offiziell)
 
Gemeldet:
39
 505 (Franzosen: 26 880, Ausländer: 12 625, Nationen: 95)
Am Start:
31
 373
Im Ziel: 30
 334 (M: 25 281 / W: 5053)
 
Männer
1. Vincent Kipruto (Kenia) 2:05:46 (SR)
2. Bazu Worka (Äthiopien) 2:06:14
3. David Kiyeng (Kenia) 2:06:23
4. Yemane Adhane (Äthiopien) 2:06:30
5. Rachid Kisri (Marokko) 2:06:48
6. David Mandago (Kenia) 2:06:53
 
Frauen
1. Atsede Bayisa (Äthiopien) 2:24:41
2. Aselefech Mergia (Äthiopien) 2:25:01
3. Christelle Daunay (Frankreich) 2:25:43
4. Ashu Kasim (Äthiopien) 2:25:49
5. Julia Muraga (Kenia) 2:29:10
6. Worknesh Tola (Äthiopien) 2:29:19
 
Kampfläufer Vitus
Startnummer:
5430
Nation: Deutschland
Zeit: 2:58:47
Platz: 941 von 31
 373 Gesamt
Platz: 346 von 9098 in Kategorie VH1 (1969-1960)
Zwischenzeiten
05 km: 0:20:26
10 km: 0:41:16
15 km: 1:02:08
21,1 km: 1:27:40
25 km: 1:43:44
30 km: 2:05:06
35 km: 2:26:54
 
Peanut
Startnummer:
39655
Nation: Deutschland
Zeit:
4:07:39 (PB)
Platz: 16
 432 von 31 373 Gesamt
Platz: 528 von 1914 in Kategorie VF1 (1969-1960)
Zwischenzeiten
05 km: 0:27:55
10 km: 0:55:54
15 km: 1:23:49
21,1 km: 1:58:14
25 km: 2:20:43
30 km: 2:50:13
35 km: 3:21:03
 
Schwarze Schafe
204 Teilnehmer wurden wegen Akürzens ausgeschlossen und namentlich im Netz veröffentlicht. Der „Schnellste“ unter den Betrügern (Mourao) traute sich nach 2:22:31 über den Zielstrich. Manche erschienen nur am Start ... und dann erst wieder im Ziel!
 
Ergebnisse

Paris-Marathon