LANDESMEISTERSCHAFT STRAßE BRANDENBURG, SACHSEN U. SACHSEN-ANHALT
RUND UM DEN WINDPARK
Klettwitz, 7. Mai 2023
Prolog
 
Nach dem Einzelzeitfahren vor nicht mal vierundzwanzig Stunden in der mitteldeutschen Magdeburger Börde, lieferte das Straßenrennen in der Niederlausitz im äußersten Osten Deutschlands eine neue Chance aufs Treppchen bei einer Landesmeisterschaft. Am Morgen des 7. Mai war das südbrandenburgische Klettwitz Ausgang und Ende der Titelkämpfe von Brandenburg, Sachsen und Sachsen-Anhalt im Einer-Straßenrennen.
.:: DIE STRECKE ::.
Das Rennen führte auf einer 14,5-Kilometer-Runde von Klettwitz durch ehemaliges Tagebaugelände und einsam gelegene Niederlausitzer Chausseen nach Kostebrau, und von dort durch die mit Kopfsteinpflaster bestückte Kerngemeide Schipkau. Durch die Treuhandsiedlung, über den Klettwitzgraben und vorbei am historischen Marktplatz kamen die Fahrer wieder nach Klettwitz und auf die lange Start- und Zielgerade Kostebrauer Straße, Das Banner flatterte am Haus, in dem 1992 der Lausitzring ins Leben gerufen wurde. Pro Runde waren 132 Höhenmeter verteilt auf zwei Anstiege zu bewältigen. Offene Flächen bargen die Gefahr einer Windkante, die das Peloton zerteilen kann, Pflasterabschnitte und Fahrbahnverengungen in Schipkau stellten Gefahrenpunkte dar. Es wurden Durchschnittsgeschwindigkeiten von bis zu 45 Stundenkilometer gefahren. Ein Ding für Puncheure!
.:: DAS RENNEN ::.
Weil mir dieses Rennen sehr wichtig war, fuhr mein Mädel mich auf eigene Kappe hin. Um acht ging die Reise los, halb zehn trafen wir im Niemandsland südlich von Cottbus ein. Wo nach dem Krieg bis zum Untergang der DDR Kohle abgebaggert und Teile des Dorfs auch „devastiert“ (verwüstet) wurden, war nun das Ende der Welt, standen Wälder und hatten sich Wölfe angesiedelt. Die beiden Busse des Dresdner SC waren vor uns da, der Nachwuchs schon seit um neun auf der Rennstrecke unterwegs. Bei der Nummernausgabe im alten Kulturhaus am Markt traf ich bekannte Gesichter. Darunter den Markkleeberger Matzel, der am Vortag das Einzelzeitfahren abgeschossen und dabei einen Kontrahenten aus Leipzig die Hälfte der Strecke am Hinterrad hatte. Was mich Bronze kostete. Doch man lernt, zu vergeben! Petrus indes sorgte für eine düstere Stimmung: Es war lausig kalt, dazu wehte ein Lüftchen. Viele fuhren lang, doch ich hatte weder Handschuhe noch lange Hosen dabei...
10 Uhr 55 erfolgte der START für das große Feld aller Masterklassen. 59 Fahrer - 22 Masters 2, 24 Masters 3 und 13 Masters 4 - hatten sich in der Kostebrauer Straße versammelt. Gestandene Namen wie Götze, Wernicke, Kiefl, Keller, der im Deutschlandtrikot startende Bosniatzki und Mastersweltmeister Schaefer standen in der Meldeliste, das umstrittene Team Ur-Krostitzer trat mit voller Kapelle an, Halbprofis von Bauauf-Lawi, ein überführter Doper von La Onda... Zum zigsten Mal traf ich bei einem Rennen mit Gefühlen wie Wut, Ehre und Leidenschaft auf den ausgebufften Marco Großegger. Auf dem Papier waren wir auf Augenhöhe. Doch während „Grossi“ die ganze Zeit wie gewohnt ablieferte, kam ich in dieser Saison überhaupt noch nicht in Tritt, was auch einem gewissen Trainingsrückstand geschuldet war: Von November bis März hatte ich eine Rückkehr zum Marathonlauf versucht, das Radtraining erst Ende März neu aufgenommen. So stellte ich mich mit einem sechs Jahre alten Rennrad und dreitausend Kilometern im laufenden Jahr einem ungleichen Kampf. Und schon nach zweitausend Metern schien er für mich vorbei: Nach einem kurzen Gefälle türmte sich gleich zu Beginn ein achthundert Meter langes Biest vor mir auf. Ich hatte versucht, mich warmzufahren, stand aber unterkühlt am Start, das Feld war losgestürmt, was das Zeug hält - und plötzlich hatte ich blitzeblau den Jurywagen im Nacken. Daß ich nicht aus dem Rennen genommen wurde und das Loch von fünfzig Metern allein zufahren konnte, war ein Wunder. Es war die größte Anstrengung in meinem Leben, ein „heroischer Kampf“, wie Reporter es sagen! Nach einer rasenden Abfahrt wiederholte sich das Szenario am vierten Kilometer. Wieder konnte ich in der Gegensteigung auf der letzten Speiche dranbleiben. Eine endlose Windkante und die Ortsdurchfahrt in Schipkau verlangten weiterhin das Äußerste an Kraft und Konzentration ab. So ging es in die zweite und dritte Runde, in denen speziell die beiden Anstiege und die Windkante manche zur Attacke einluden. Eingangs der vorletzten Runde sortierte sich das Feld. Je mehr Kilometer zurückgelegt waren, um so lichter wurden die Reihen. Großegger wurde am Anstieg eingangs Runde vier abgekoppelt. Damit war ein Sprinter weg. Überstehe ich die beiden Knüppel dieser Runde, besteht eine Chance aufs Treppchen, sagte ich mir. Nachdem ich mich fast fünfzig Kilometer in den tieferen Gefilden versteckt hatte - wo neben meinen DSC-Kumpels Kunath und Rheingans merkwürdigerweise auch das Deutschlandtrikot kurbelte - kam nun auch so etwas wie Stehvermögen ins Spiel. Zeitweilig fuhr ich im Mittelfeld Seite an Seite mit Jahrzehnte Jüngeren. So ging es in die letzte Runde, in der alles auf einen Massensprint hinauslief. Trotz der Verschiedenheit der Straßenoberfläche, trotz der Steigungen und trotz zum Teil gefährlicher Kurven und Schlaglöcher blieb das Feld geschlossen bis auf zwanzig Abgehängte. Über die für ein Straßenrennen zu kurze Distanz waren alle mit guter Konditition verhältnismaßig leicht gekommen. Und so ballte sich ein Feld von vierzig Fahrern zusammen, als es zum letzten Mal nach Klettwitz ging. Mit dem Bild unseres jüngst schwer gestürzten Doc Rübling vor Augen, der mit vier angebrochenen Hals- und Brustwirbeln alles Glück der Erde hatte, hielt ich mich aus dem Scharmützel der finalen fünfhundert Meter raus. Nach einem Rennen mit 73 Kilometern und einer Durchschnittsgeschwindigkeit von 41,5 Stukis, sprinteten binnen zehn Sekunden vierzig Männer über die schmale Kostebrauer Straße ins ZIEL. Als Fünfter der Sachsenmeisterschaft verpasste ich wie vor vierundzwanzig Stunden das Podium nur knapp. Der unverwüstliche Sieger Ralf Keller und der Dritte Volker Rheingans hatten das Zeitfahren ausgelassen und sich aufs Straßenrennen konzentriert. Zeitfahrsieger Matzel holte sich Silber. Dopingkontrollen wurden nicht durchgeführt.
Finale
 
Am DSC-Bus stand mein Leidensbruder Benedix, der im Rennen der Amateure im Anstieg eingangs der sechsten von acht Runden zusammen mit zwei anderen attackiert hatte, oben dafür bluten mußte, und letztlich ausstieg. Beim Lesen der Ergebnislisten im Zielraum stand plötzlich unser alter Trainer, Herr Deckert, neben mir. Mit blitzenden Augen, in unerschütterlicher Würde und Ruhe. Jedoch am Stock. Aber kein Gebrechen dieser Welt kann „Decko“ von einem Besuch im geliebten Radsport abhalten. Später unterhielt ich mich noch lange mit dem Drittplatzierten Rheingans, der als „Neuer“ und einer der Jüngsten in der Masters 4 jeden Wettkampf nochmal voll mitnehmen will. Angestachelt von diesen Ereignissen erstand ich vier Tage später ein neues Rennrad.
 
 
Danke von ganzem Herzen
Meine Peanut, dem BESTEN MENSCH DER WELT
Meine Mutter, die bestimmt zugesehen hat
 
 
Vitus, 15. Mai 2023, Bilder: Peanut und Vitus
.:: ZAHLEN UND ZEITEN ::.
Wetter: überwiegend bewölkt, 11ºC, mäßiger Wind aus Ost (20 km/h)
Typ: Straßenrennen
Länge: 73 km
 
Meldungen: 390
Amateure: 37, Masters 2: 22, Masters 3: 24, Masters 4: 13, U19: 32, U17: 47, U15: 51, U13, 64, U11: 29, Weibliche Klassen: 71
 
Im Ziel: 293
Amateure: 26, Masters 2: 18, Masters 3: 18, Masters 4: 9, U19: 22, U17: 46, U15: 56, U13: 57, U11: 18, Weibliche Klassen: 56
 
Masters 4 / Landesmeisterschaft Sachsen
Am Start:
13
Im Ziel: 9
1. Ralf Keller (RSG Muldental Grimma) 1:46:25
2. Jens Matzel (RFC Markkleeberg) +0:01
3. Volker Rheingans (Dresdner SC 1898) +0:01
4. Henry Schwarz (Velo Team Picardellics Dresden) + 0:03
5. Mario Voland (Dresdner SC 1898) +0:07
6. Jörg Langhals (RSV Hainichen) +19:59
 
Ergebnisse

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