LANDESMEISTERSCHAFT STRAßE
BRANDENBURG, SACHSEN, SACHSEN-ANHALT
RUND UM DEN WINDPARK
Klettwitz, 7. Mai 2023
Prolog
 
Nach dem Einzelzeitfahren gestern in Bahrendorf in der mitteldeutschen Magdeburger Börde bot das Straßenrennen im Lausitzer Kohleland im äußersten Osten Deutschlands eine neue Chance aufs Treppchen bei einer Landesmeisterschaft. Am Morgen des 7. Mai war das südbrandenburgische Klettwitz Ausgang und Ende der Titelkämpfe von Brandenburg, Sachsen und Sachsen-Anhalt im Straße Einer.
.:: DIE STRECKE ::.
Der Streckenverlauf von „Rund um den Windpark“ ähnelte stark dem des Deponierennens von Halle-Lochau, wo man rund um und durch eine Mülldeponie fährt - nur das er nicht zum Himmel stank. Der Weg führte von Klettwitz über Niederlausitzer Chausseen und altes Tagebaugelände nach Kostebrau und von dort durch die mit Kopfsteinpflaster bestückte Kerngemeide Schipkau. Durch die Treuhandsiedlung, über den Klettwitzgraben und vorbei am alten Marktplatz kamen die Fahrer schließlich wieder nach Klettwitz und auf die lange Kostebrauer Straße, in deren Mitte das rote Zielbanner flatterte. In jeder Runde waren 132 Höhenmeter verteilt auf zwei Anstiege zu überwinden. Pflasterabschnitte und Fahrbahnverengungen in Schipkau stellten Gefahrenpunkte dar. Es wurden auf diesem Kurs Durchschnittsgeschwindigkeiten bis zu 45 Stundenkilometer gefahren. Einer für Puncheure!
.:: DAS RENNEN ::.
Weil mir dieses Rennen sehr wichtig war, fuhr mein Mädel mich auf eigene Kappe hin. Um acht ging die Reise los, halb zehn trafen wir im Niemandsland südlich von Cottbus ein. Wo nach dem Krieg bis zum Untergang der DDR Kohle abgebaggert und Teile des Dorfs auch „devastiert“ (verwüstet) wurden, war nun das Ende der Welt, standen Wälder und hatten sich Wölfe angesiedelt. Die beiden Busse des Dresdner SC waren vor uns da, der Nachwuchs schon seit um neun auf der Rennstrecke unterwegs. Bei der Nummernausgabe im alten Kulturhaus am Markt traf ich bekannte Gesichter. Darunter den Markkleeberger Matzel, der am Vortag das Einzelzeitfahren gewonnen und dabei einen Kontrahenten aus Leipzig die Hälfte der Strecke am Hinterrad hatte. Was mich Bronze kostete. Doch man lernt, zu vergeben! Petrus indes sorgte für eine düstere Stimmung: Es war lausig kalt, dazu wehte ein Lüftchen. Viele fuhren lang, doch ich hatte weder Handschuhe noch lange Hosen dabei...
10:55 Uhr erfolgte der START für alle Masterklassen bei getrennter Wertung und Zeitmessung per Transponder. 59 Fahrer - 22 der Masters 2, 24 der Masters 3 und 13 von der Masters 4 - hatten sich auf der Kostebrauer Straße versammelt. Gestandene Namen wie Götze, Wernicke, Kiefl, Keller, der im deutschen Meistertrikot startende Bosniatzki und Masters-Weltmeister Schaefer standen in der Meldeliste, das umstrittene Team Ur-Krostitzer trat mit voller Kapelle an, Halbprofis von Bauauf-Lawi, ein überführter Doper von La Onda... Zum zigsten Mal traf ich bei einem Rennen mit Gefühlen wie Wut, Ehre und Leidenschaft auf den abgebrühten Marco Großegger. Auf dem Papier waren wir auf Augenhöhe. Doch während „Grossi“ die ganze Zeit wie gewohnt ablieferte, kam ich in dieser Saison überhaupt noch nicht in Tritt, was auch einem gewissen Trainingsrückstand geschuldet war: Von November bis März hatte ich eine Rückkehr zum Marathonlauf versucht, das Radtraining erst Ende März neu aufgenommen. Mit dreitausend Kilometern im laufenden Jahr hat man nicht viel zu melden. Und schon nach zweitausend Metern schien das Rennen für mich vorbei: Nach einem kurzen Gefälle türmte sich kurz nach dem Start ein achthundert Meter langes Biest vor mir auf. Ich hatte versucht, mich warmzufahren, stand aber ausgekühlt am Start, das Feld war wie von der Tarantel gebissen losgestürmt - und plötzlich hatte ich blitzeblau den Jurywagen im Nacken. Daß ich nicht aus dem Rennen genommen wurde und die Lücke von fünfzig Metern allein zumachen konnte, war ein Wunder. Es war die ungeheuerste Anstrengung in meinem Leben, ein „heroischer Kampf“, wie Reporter es sagen! Nach einer rasenden Abfahrt wiederholte sich das Szenario am vierten Kilometer. Wieder konnte ich in der Gegensteigung auf der letzten Speiche dranbleiben. Eine endlose Windkante und die Ortsdurchfahrt in Schipkau verlangten weiterhin das Äußerste an Kraft und Konzentration ab. So ging es in die zweite und dritte Runde, in denen speziell die beiden Steigungen und die Windkante manche zur Attacke einluden. Eingangs der vorletzten Runde begann die Selektion. Je mehr Kilometer zurückgelegt waren, um so lichter wurden die Reihen. Großegger wurde am Anstieg eingangs Runde vier abgekoppelt. Damit war ein Sprinter weg. Überstehe ich die beiden Knüppel dieser Runde, besteht eine Chance aufs Treppchen, sagte ich mir. Nachdem ich fast fünfzig Kilometer versteckt am Schwanz des Feldes gekämpft hatte - an dem neben meinen DSC-Kumpels Kunath und Rheingans merkwürdigerweise auch das weiße Trikot mit schwarz-rot-gelbem Brustring kurbelte - kam nun auch so etwas wie Ausdauer ins Spiel. Zeitweise fuhr ich im Mittelfeld Seite an Seite mit Jahrzehnte Jüngeren. So ging es in die letzte Runde, in der alles auf eine Massenankunft hinauslief. Trotz der Verschiedenheit der Straßenoberfläche, trotz der Steigungen und trotz zum Teil gefährlicher Kurven und Schlaglöcher blieb das Feld geschlossen bis auf zwanzig Abgehängte. Über die für ein Straßenrennen zu kurze Distanz waren alle mit guter Konditition verhältnismaßig leicht gekommen. Und so ballte sich ein Feld von vierzig Fahrern zusammen, als es zum letzten Mal nach Klettwitz ging. Mit dem Bild unseres jüngst schwer gestürzten Doc Rübling vor Augen, der mit vier angebrochenen Hals- und Brustwirbeln alles Glück der Erde hatte, hielt ich mich aus dem Scharmützel der finalen fünfhundert Meter raus. Nach einem Rennen mit 73 Kilometern und einer Durchschnittsgeschwindigkeit von 41,5 Stukis, sprinteten binnen zehn Sekunden vierzig Männer über die schmale Kostebrauer Straße ins ZIEL. Als Fünfter der Sachsenmeisterschaft verpasste ich wie vor vierundzwanzig Stunden das Podium knapp. Der scheinbar unzerstörbare Sieger Ralf Keller und der Dritte Volker Rheingans hatten das Zeitfahren ausgelassen und sich aufs Straßenrennen konzentriert. Zeitfahrsieger Matzel holte sich Silber. Dopingkontrollen wurden nicht durchgeführt.
Finale
 
Am DSC-Bus stand mein Leidensbruder Benedix, der im Rennen der Amateure am Berg eingangs der sechsten von acht Runden zusammen mit zwei anderen angegriffen hatte, oben dafür bluten mußte, und letztlich ausstieg. Beim Lesen der Ergebnislisten im Zielraum stand plötzlich unser alter Trainer, Herr Deckert, neben mir. In stiller Würde, mit blitzenden Augen - und einem Stock. Doch alle Gebrechen dieser Welt können „Decko“ nicht von einem Besuch im geliebten Radsport abhalten. Später unterhielt ich mich noch lange mit dem Drittplatzierten Rheingans, der als „Neuer“ und einer der Jüngsten in der Masters 4 jeden Wettkampf noch einmal voll mitnehmen will. Angestachelt von diesen Ereignissen habe ich vier Tage später ein neues Rennrad erstanden.
 
 
Danke von ganzem Herzen
Meine Peanut, dem BESTEN MENSCH DER WELT
Meine Mutter, die bestimmt zugesehen hat
 
 
Vitus, 15. Mai 2023, Bilder: J.Kunath, Peanut und Vitus
.:: ZAHLEN UND ZEITEN ::.
Wetter: überwiegend bewölkt, 11ºC, schwache Brise aus Ost (20 km/h)
Typ: Straßenrennen
Länge: 73 km
 
Meldungen: 390 (Amateure: 37, Masters 2: 22, Masters 3: 24, Masters 4: 13, U19: 32, U17: 47, U15: 51, U13, 64, U11: 29, Weibliche Klassen: 71
Im Ziel: 293 (Amateure: 26, Masters 2: 18, Masters 3: 18, Masters 4: 9, U19: 22, U17: 46, U15: 56, U13: 57, U11: 18, Weibliche Klassen: 56
 
Masters 4 / Landesmeisterschaft Sachsen
Am Start:
13
Im Ziel: 9
1. Ralf Keller (RSG Muldental Grimma) 1:46:25
2. Jens Matzel (RFC Markkleeberg) +0:01
3. Volker Rheingans (Dresdner SC 1898) +0:01
4. Henry Schwarz (Velo Team Picardellics Dresden) + 0:03
5. Mario Voland (Dresdner SC 1898) +0:07
6. Jörg Langhals (RSV Hainichen) +19:59
 
Ergebnisse

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