DUTCH DOOM DAYS XVI
 
IN THE WOODS..., MARE INFINITUM, ALBEZ DUZ, DOOMED, HEMELBESTORMER, URZA, BEYOND OUR RUINS
NL-Rotterdam, Baroeg - 29. Oktober 2017
Prolog
 
Freitag, 28. Oktober
 
Bei jedem Besuch in Rotterdam ist die Skyline anders und weiter. Speziell die der Halbinsel Kop van Zuid auf der Südseite der Maas. Nachdem wir bei unsrem ersten Aufenthalt anno 2007 vom Nordufer einen freien Blick auf den Himmel hatten, war jener zehn Jahre später von einem künstlichen Horizont aus futuristisch-dadaistischen Wolkenkratzern verstellt. Aber Gräfin Peanut und ich waren nicht als Architekten, sondern als Jünger der „Dutch Doom Days“ angereist. Es war unsere siebente Teilnahme (und der neunte Aufenthalt mit den Rotterdam-Marathons 2010 und 2011). Kaum angekommen, kam es zu einem unerwarteten großen Hallo: Mit der Schließung des angestammten Hotels vor zwei Jahren war uns auch die Lieblingsbar genommen. Das Hotel existiert nicht mehr. Doch Barkeeper Johnny besaß den Mut, seinen Tresen am alten Ort als „Café ´t Zeemanshuis“ nochmal neu zu eröffnen. Da der Kapverde früh schloß, mußten zwei, drei Jenever an der Bar ums Eck dran glauben. Dort hingegen - im „Thon“ - war jegliche Romantik dem Hightech gewichen: Kerzen wurden nicht ausgepustet, sondern per Fernbedienung zentral ausgeschaltet. Aber durch elektrisches Feuer konnte auch kein Brand entstehen. Schöne neue Welt...
Mainhattan a.d. Maas (© Peanut)
Sonnabend, 29. Oktober (1. Tag)
 
Am Grundmuster der Dutch Doom Days hatte sich zuletzt wenig geändert. Nachdem extreme Gruppen in den Tag einsteigen, wird es im Mittelteil traditionalistisch, bevor epische Sanftmut den Gast in die Nacht entläßt. Die Zweitageskarte mit je sieben Gruppen ging für 36 Euro über den virtuellen Ladentisch. Tom und M.O.D. von „Grau“ betrieben ihren Händlerstand; und Paradise Lost hielten als Pausenbeschallung her. An beiden Tagen fanden sich etwa 150 Leute in der kleinen Halle „Baroeg“ im Rotterdammer Süden ein. Die meisten kannte man vom Sehen. Der Konzertraum blieb mit achtzig Personen eher locker gefüllt. Um elf mußte Schluß sein - die Nachbarschaft... Und: Nach ewigem Sonnenschein flaggte Hollands Petrus passend zum Doom dunkle Wolken, manchmal ließ er auch Wasser vom Himmel regnen. Leider riß mich nach einer Woche voller zerrütteter Nächte die Müdigkeit ausgerechnet in der Nacht vorm ersten Doomtag in einen totengleichen Schlaf von über zehn Stunden. Das sollte sich rächen...
Die von Brabant stammenden Melodic-Death-Doomer BEYOND OUR RUINS hatten wir verpaßt. Da einer von ihnen jedoch derart anrührend den Devotionalienstand hütete, erwarb meine Adjutantin ein Exemplar des brandneuen, an die „Big Three“ des englischen Gothic Metal (Paradise Lost, My Dying Bride, Anathema) angelehnten Albums 'A Dreadful Oath'.
Von URZA entging uns unterdes keine Sekunde. Es wäre auch ein Drama gewesen. Das Funeral-Death-Doom-Kommando aus Berlin stand in meiner Prioritätenliste ganz weit oben. Und Thom, Olli, Marcus, Marc Le und Hannes überzeugten auf der ganzen Linie. Wir bekamen drei ultraschwere, heftige Kriecher erstreckt über eine Dreiviertelstunde. Die Bühne war in Rot getaucht, am Rand leuchteten vier Grablichter. Dahinter thronten die Akteure: lange Haare, schlichte schwarze Kleidung, schweres Schuhwerk - und alle mit angenehm schüchternem Wesen. Ihre Musik war sehr langsam und apokalyptisch. Die Inhalte waren guttural herausgeröchelt und manchmal von verzweifelten Schreien durchbrochen. Vorn dröhnten abgründige Trossen, im Hintergrund polterige Trommeln. Man verspürte ein etwas unbehagliches aber gerade deswegen umso erregenderes Gefühl, wenn man mit Urza mitfieberte. Urza waren wie erwartet die Finstersten des ersten Tages, und trotzdem sehr lebendig. In der letzten Sequenz hob der Vokalist zwei Kerzen vom Boden und hielt sie wie in einem Ritual stumm mit ausgestreckten Armen schwebend vor sich in der Luft. 66 Gäste waren Zeuge. Hail Urza!
Nach dem Rückzug der US-Doomer PILGRIM stand schnell fest, wer das Loch füllen wird. Daß wir die 2014 beim „Darken The Moon“ erlebten HEMELBESTORMER jedoch auf diese Art wiedersehen sollten, hätten wir nicht geglaubt. Denn als Notnagel waren die Schallwellenreiter aus Flandern viel zu groß. Nach ihrer Split mit Vanessa Van Basten hatten HMBSM heute ihr erstes eigenständiges Studioalbum mit Namen 'Aether' am Start. So nebenbei wurde ich erleuchtet, daß Schlagzeuger Cozy Cosemans früher bei keinen Geringeren als Thee Plague Of Gentlemen und Serpentcult mitwirkte. Mit den Sechssaitern Driesmans und Dupont sowie Viersaiter Hensels war die Gruppe stabil wie ehedem. Hemelbestormer erfüllten ihre (undankbare) Rolle mit atemraubender Atmosphäre. Einerseits lieferten sie mit der schwarzen, nur von zwei Tafeln mit esoterischen Symbolen erleuchteten Bühne, und ihren sich manisch biegenden Leibern einen Bilderrausch für Genießer. Zum anderen strömte ihr Post-Metal etwas Übersinnliches und Bedrohliches aus, etwas Tiefes und zugleich Schönes und Optimistisches. HMBSM spielten nur drei Titel, aber die hatten es in sich. Zuerst „After Us The Flood“ und „Starless“ vom Album. Anschließend einen neuen mit Überlänge, der unter verhallenden Wortfetzen wie ein Panzer anrollte, um dann mit Urkraft zu einem - wenn nicht dem - Schlaglicht dieser Doomtage emporzusteigen! Die Akteure trugen dieses Teil in ihrer inneren Versunkenheit mit geschlossenen Augen vor. - Jon Rossi, der Frontmann von Pilgrim aus Rhode Island, USA, suchte unmittelbar vor Hemelbestormers Auftritt, am 26. Oktober Ortszeit, Heil im Freitod.
Nach ihrem Livedebüt 2013 am selben Ort hatten sich die Dinge bei den deutschen Death Doomern DOOMED professionell weiterentwickelt. Die Diskografie umfaßt mittlerweile fünf Studioalben. Dazu fielen Haare und der Frontmann und seine neue Bassistin sind ein Paar. Der Laube-Klan nebst Trommler Böse kam heute variabler und in der Grundierung deutlich heller als vor vier Jahren daher, mitunter geradezu feinfühlig, aber auch etwas schwieriger bis überambitioniert. Alles war mit Grips und Raffinesse technisch perfekt ausgefeilt. Doch dadurch ging auch etwas die Seele verloren. Und für mich persönlich fühlte sich der psychedelisch angehauchte Klargesang von Yves auch behaglicher an als das auf Dauer stumpfe, gutturale Geröchel seines Bruders Pierre. Doomed waren eine Gratwanderung. Und die Erkenntnis, daß Yves nicht nur singen (!), sondern auch richtige Metal-Leads spielen konnte, glich dem Kainschen Brudermord geradezu. Der Auftritt wurde in voller Länge mitgefilmt.
ALBEZ DUZ hoben den Abend in ganz andere Sphären. Es gibt so viele Gruppen, die man nicht kennt, weil man in vielen Szenen kein Experte ist. Albez Duz gehörten zur Abteilung Okkult Doom Rock. Und deren Darbietung hat mich einfach umgehauen. Dabei begann alles etwas naserümpfend. Erst war die Gitarristin ohne Blick durch die Menge gestöckelt, und dann hatte man die ersten Takte in echt auch schon zig Mal gehört. Doch Albez Duz entwickelten sich langsam - um einen umso tiefer in den Bann zu ziehen. Schon bald hatte sich eine magische dunkle Aura im Baroeg ausgebreitet. Das Geviert war nur spartanisch ausgeleuchtet. Nicht minder puristisch: das, was sich darauf tat. Vor uns thronten der mexikanische Sänger Grifonzo Lopez, die kalifornische Sechssaiterin Julia Neuman, Live-Bassist Petersen, dahinter Trommler und Gruppengründer Impurus aus Berlin. Grifonzos schwarzmagischer Baritongesang erinnerte etwas an Steve Sylvester von Death SS, die eine ähnliche Musik zelebrierten. Orgelspuren vom Tonband (die trotzdem ganz natürlich wirkten) spendeten dem hymnischen Klanggewand eine okkulte Note. Und dann die Frau an der Leitgitarre (was per se schon einzigartig war): Julia Neumann war die beste Frau, die ich je auf einer Bühne erlebte. Sie war verboten anmutig, etwas verrucht, lässig, echt, und durch und durch weiblich. Eine richtige Metalfee! Albez Duz lieferten ein knappes Stündlein voller Leidenschaft, sie waren sexy, erfrischend und hatten ganz viel Herz!
Nachdem Rußland nun offen ist, traf mit MARE INFINITUM die erste Doom-Metal-Brigade aus Moskau in Rotterdam ein. Und zwar in Frieden, nicht in Fliegern, Booten oder auf Ketten! Guskow, Homer nebst ihrem Bühnen-Einsatzkommando Strelnikow, Bor und A.S. konnten es selbst nicht fassen. Sie waren mit eigenwillig geformten Apparatschiks bewehrt, und sie durften die meisten Anhänger vor sich verzeichnen: rund 150. Vor und nach den Russen drängten sich deutlich weniger vor der Bühne. Mare Infinitum lieferten fünfzig Minuten lang atmosphärischen Death Doom mit hohem schauspielerischen Wert. Die Lieder waren visionärer Natur. Sie erzählten von den endlosen Tiefen der Meere, einem alles ausradierenden Asteroideneinschlag und abgründigen Cthulhu-Kreaturen. Stilistisch war das äußerst lebhaft, mit Ecken und Kanten, hoch emotional und mit einem Hang zum Spektakel performt. Im Zentrum der Betrachtung stand Iwan Guskow, der immer wieder wie von einem Geist besessen die Pupillen aufriß, Wasserfontänen aus dem Mund spritzte, wie Gollum am Boden kauerte, und abrupt von klarem Gesang zu brutalen Grunzlauten wechselte. Mare Infinitum waren für mich die Überraschung des Tages! Und sie standen in einer Linie mit all den Tragödien der diesjährigen Doomtage: Ende Mai war ihr Bassist Gungrind gestorben...
Den finalen Akt setzte Norwegens 1991 formierter und nach mehrjähriger Pause wiedebelebter Pagan-Metal-Mythos IN THE WOODS... (von deren Urbesetzung allerdings nur Trommler Anders Kobro an Bord war). In the Woods... gelten als eine der ersten Pagan-Metal-Kommandos überhaupt, und ihr Debütwerk „HEart Of The Ages' als starker Einfluß für zig Black-Metal-Horden - sowohl böse als auch die kaskadierenden Wolves in the Throne Room. Doch nach sechs Gruppen und drei Stunden Umbau war die Luft raus. Da half weder der Legendenstatus noch die tolle Optik der Norweger, oder deren Materialschlacht. Es war schlicht zu viel des Guten. Irrwitzige Stilbrüche, ein zielloses Treiben durch die progmetallische Gegenwart, epische Heldenlieder und die plötzlichen Rückkehr mit raserischen Riffgewittern zum Black Metal, wirkten da ebenso wenig förderlich wie die Tatsache, daß James „Mr. Fog“ Fogarty sämtliche Texte aus einer riesengroßen Mappe am Boden ablesen mußte. Ferner salutierten In the Woods... dem Pilgrim-Sänger mit dem ultrafinsteren Lied „Omnio? - Post“ und der Anmerkung, sein Gang ins Totenreich mit 26 sei „fucking terrible“ - nur um zwei Lieder weiter als grinsende Rockstars Rücken an Rücken Gitarre zu riffen. Nach einer halben Stunde hatten Gräfin Peanut und ich genug...
.:: ABSPIELLISTEN ::.
 
BEYOND OUR RUINS
(14.00-14.45)
Intro
1. A Seance in Fear
2. Legion
3. Dirge of Damnation
4. Pantheon
5. Rapture Coming Down
6. A Dreadful Oath
 
URZA
(15.15-15.56)
1. Lost in Decline
2. Path of Tombs
3. Demystifying the Blackness
 
HEMELBESTORMER
(16.30-17.09)
1. After Us The Flood
2. Starless
3. New/Unreleased
 
DOOMED
(17.45-18.34)
1. & 2. unbekannt
3. The Frozen Wish
4. Sun Eater
 
ALBEZ DUZ
(19.06-20.00)
1. Mictlan
2. Rites of Hidden Souls
3. Fire Wings
4. Our Lord, the Flayed One
5. Reflections
6. Omen Filled Season [Death in June]
7. Servants of Light
 
MARE INFINITUM
(20.20-21.11)
1. The Nightmare Corpse-City of R'lyeh
2. Beholding the Unseen
3. Alien Monolith God
4. The Sun That Harasses My Solitude
 
IN THE WOODS...
(21.55-23.05[?])
Omnio? - Post
Rest unbekannt
Beim Aufbruch trafen wir in der schmalen Eingangshalle auf Organisator Pim. Der erzählte uns in gebrochenem Deutsch fast ein wenig nach Rat suchend von zwei Schicksalsschlägen. Wir erfuhren, daß es nicht die metaphorischen „Allies“ (Verbündeten) waren, die PILGRIM nach einem Jahr Vorbereitung „im letzten Moment im Stich“ ließen. Nein, der Frontmann hatte sich das Leben genommen. Dazu lag der Vater des Trommlers von DEATH THE LEVELLER im Sterben. Sodaß deren Auftritt äußerst fraglich war, und Pim fieberhaft über eine Notlösung grübelte. Wir konnten nicht helfen und waren auf den neuen Tag gespannt...
 
 
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((((((Heiliger Vitus)))))), 3. November 2017