16. ULTRAMARATHON DES RLT RODGAU, 31. Januar 2015
STRECKE ¤ VORBEREITUNG ¤ ULTRA ¤ STATISTIK
Zu alt, um jung zu sterben
 
 
Mit Rom 2014 hatten Peanut und ich das Kapitel „Marathonlauf“ geschlossen. Daß wir noch mal mobilmachten, hatte zwei Gründe. Zum einen war der Lebensinhalt „Doom“ in einen ewigen Winterschlaf gefallen. Was ohne Auftritte und Festivals tun? Der andere Grund war eine organische Störung, die mich Mitte Juli 2014 ereilte. Das Ende der Langlaufkarriere, der Verlust an Bewegung, eine Rippenprellung, die Sorgen und der Ärger des Lebens, Gefühle von Verlorenheit, zu viele Verfehlungen, zerrüttete Tage und quälerische Nachte hatten zu einem unkontrollierten Flattern und Klopfen im Leib geführt. Mein Gang zur Ärzteschaft war unumgänglich.
 
„Ihr Herz ist müde und schwach wie das einer 80jährigen Oma“, sagte die Doktorin. Sie verbot mir, aufs Rad zu steigen, und warnte, daß ich bei der kleinsten Anstrengung tot zusammenbrechen könne. Andere wollten schwere Geschütze auffahren, mir Narkosen und Stromschüsse verpassen, Katheder durch die Blutbahn schieben, mich eine Weile im Krankenhaus beobachten, mich lebenslang auf Pillen und Verzicht setzen. „Mit dem Kopf kriegen sie das nicht wieder hin“, behauptete eine Doktorin. Ein Arzt formulierte drastisch sogar meinen baldigen Tod... Aber ich kenne meinen Körper - und ich glaube an meinen Körper!
 
Nach einer dreimonatigen Odyssee von Pontius zu Pilatus mit Ablehnung all derer Behandlungsmethoden, begann ich Anfang Oktober eine KÖRPERSELBSTHEILUNG. Nach sechs Wochen radikaler innerer Reinigung - also nachdem ich vier Monate Nöte und Ängste durchlitten hatte - schlug mein Herz wieder ruhig. Chia-Samen und ausgewählte Mineralien, Folsäure und Vitamin B wirkten sich günstig aus. Trotzdem war ich zu der Zeit von einem Wettkampf so weit weg wie die Erde vom Mond. Am 13. November lief ich erstmals seit einer Ewigkeit wieder zwanzig Kilometer am Stück. Ganz vorsichtig. Die erste Dezemberwoche 2014 war meine erste Woche mit mehr als hundert Kilometer seit 36 Wochen. Nun war der Leib stabil. Die erste Maximalbelastung seit zehn Monaten wagte ich am 11. Januar: einen Kilometer in 4:08 Minuten (ein Vierteljahr zuvor wäre ich auf halber Strecke tot umgefallen). Damit war der Poltergeist fünf Monate nach seinem Ausbruch besiegt.
 
Was blieb, ist eine dunkle Erfahrung, die ich mit mir herumschleppe und deren Last mich noch zu oft niederdrückt... Und zugleich eine weitere Bestätigung, daß es das Schicksal jedem von uns in die eigene Hand gegeben hat, ob wir der Arroganz in Weiß glauben und unser sexy Leben aufgeben wollen, oder über uns selbst bestimmen.
 
Allein aus DANK und DEMUT vorm eigenen Körper wollte ich den Ultra von Rodgau bestreiten. Rodgau war die erste harte Probe im neuen Jahr, er ist einer der größten seiner Art in unserem Land, und ein angemessener nach meiner Wiederherstellung. Peanut und ich wollten es noch mal allen zeigen!
 
.:: DIE STRECKE ::.
Die Ultrastrecke bestand aus einer flachen 5-Kilometer-Runde, die zehnmal zu bezwingen war. Start und Ziel lagen am Waldteich „Gänsbrüh“ östlich vor Dudenhofen in Hessen. Wald und Acker wechselten sich ab. Zwei Kilometer verliefen auf Asphalt, der Rest auf Feld- und Waldwegen. Zwischen dem zweiten und dritten Kilometer befand sich ein 250 Meter langer Wendepunktabschnitt, am vierten Kilometer ein kurzes Hüglein, und 800 Meter nach Start und Ziel war eine Verpflegungsstation aufgebaut. Die Zeiten wurden durch eine Leiterbahn auf der Startnummer erfaßt - jede Runde netto, die Anzahl mußte sich jeder selbst merken. Den Streckenrekord hielt Florian Neuschwander aus Trier mit 2:58:47 Stunden.
 
.:: DIE VORBEREITUNG ::.
Pro Woche machte ich einen Tempodauerlauf, eine Einheit auf der Bahn, einen langen Ausdauerlauf, ein paar Koordinationen und Dehnübungen. Der Rest waren ruhige Dauerläufe aus dem Bauch heraus. Manchmal hatte ich sogar das Gefühl, noch mal einen Marathon unter drei Stunden bewerkstelligen zu können. „Träum´ weiter“, sagte Peanut und ging ganz zwanglos mit. Ganz egal, wie das Unterfangen letztlich ausging. Wir machten alles allein. Unsere Kilometer seit der Wiederaufnahme des Lauftrainings, vom 1. Dezember 2014 bis 31. Januar 2015:
 
01. Wo.: Vitus 111 km / Peanut 20 km
02. Wo.: Vitus 120 km / Peanut 23 km
03. Wo.: Vitus 115 km / Peanut 20 km
04. Wo.: Vitus 106 km / Peanut 39 km
05. Wo.: Vitus 111 km / Peanut 63 km
06. Wo.: Vitus 136 km / Peanut 57 km
07. Wo.: Vitus 113 km / Peanut 54 km
08. Wo.: Vitus 110 km / Peanut 63 km
09. Wo. (Ultra): V.: 4:57:23 (50 km), T.: 98 km / P.: 3:21:17 (30 km), T.: 47 km
Gesamt: Vitus 1020 km / Peanut 386 km
 
.:: DER ULTRA ::.
 
16. 50-KM-ULTRAMARATHON DES RLT RODGAU,
31. Januar 2015
Mit dem letzten Sonnabend im Januar erwachte tatsächlich ein neuer großer Tag. Es waren komische Gefühle, wieder vom Wecker um 4.22 Uhr ins pralle Leben gerissen zu werden, zu nachtschwarzer Stunde eine Semmel mit Honig, Banane und Moosbeeren zu essen (und zu registrieren, daß die gewohnte Erdnußbutter fehlt), im kalten Keller den Darm zu leeren, Wasser und Pulver zu einem isotonischen Getränk zu rühren, die geputzten Rennschuhe und längst verfallenen Energieriegel einzustecken, und sich samt Rucksack im Morgengrauen in eine S-Bahn nach Rodgau-Dudenhofen zu setzen... Halb neun kamen wir in der Schlafstadt im Osten hinter Frankfurt an. Draußen vor der Turnhalle des TSV standen die gleichen vier Toilettenhäuschen wie vor einem Jahr, und ich wurde auch sofort als „Läufer“ wahrgenommen und von einem Karlsruher wegen meiner Jacke auf „Boston“ angequatscht. Nach zehn Monaten waren Peanut und ich zurück im Geschehen. Nachdem wir unsere Wertsachen abgeliefert, die Handtuch-Präsente und Startnummern gesichert hatten - mir fiel die 666 zu - waren noch andere, schon fast vergessene Rituale aufzufrischen: Füße mit Hirschtalk schützen, Glieder einreiben, mit Tigerbalm die Atmung öffnen, die vier Nadeln durchs weiße Lätzchen stechen, Handschuhe und eine lange Hose überstreifen, und zum Start an der „Gänsbrüh“ vorrücken. Schon auf dem Kilometer dorthin wußten wir, daß uns Menschen in schwarzer Doomkluft viel näher sind, als die Gerippe in ihren häßlichen Funktionsklamotten. Auch deren Unterhaltungen waren schon lange nicht mehr die unsrigen. Das Dunkle hatte sich durchgesetzt... Ein Wiedersehen gab es in der Aufstellung mit den Florstädtern Predki und Lamberz. Dirk munterte mich mit einem Stupser vor den Bauch auf. Ich solle mich bloß nicht übernehmen...
Die Geschichte meiner 50 Kilometer am und im Dudenhöfer Wald sind im Eiltempo mit „Und läuft und läuft und läuft...“ erzählt. Aber wir liefen nicht im Volkswagen- sondern im Opel-Land. Hinter einem Stacheldrahtzaun am Kilometer vier lag das Prüffeld der Autobauer aus Rüsselsheim. Plötzlich um 10 Uhr wurde die Pistole zum START vom Bürgermeister abgefeuert. Gleich auf den ersten Metern brach ein altes Gebrechen in meiner rechten Ferse auf und zog die Achillessehne hinauf. Die Wade verkrampfte. Das konnte nicht lange gutgehen. Dazu mußte ich mir mehrmals die alte Weisheit „Hinten kackt die Ente“ anhören. Doch ich fand Wegbegleitung. Die erste Runde bestritt ich mit den erfahrenen Ultras vom LT Florstadt und Pferdeschwanzträger Schmiade (der von Metal nichts mehr wissen will, und nur noch läuft); die Runden drei, vier und fünf mit der späteren zehnten Frau, einer vermummten Triathletin im Trikot des Bayreuther Team Icehouse. An der Seite der Unbekannten fühlte ich mich wie im Jungbrunnen, wir flogen geradezu durchs Feld. Doch es sollte das letzte Mal gewesen sein, daß ich so was wie Kraft und Zähigkeit erleben durfte. Mit 53 kann man sich nicht mehr vorlügen, gerade erst 46 geworden zu sein.
 
Ab der sechsten Runde zerbrach unser Tandem. Jetzt war ich auf der Felge. Die Muskeln waren blau, Sehnen und Gelenke brannten, und das Schlimmste: der Wille lag in Trümmern. Und nun mußte das alles noch ganz oft und über Stunden bei Matsch, Schlamm, auf hartem Zement und bei Kälte wiederholt werden... Immerhin offenbarte sich die Rednerin als Iron-Maiden-Kenner, indem sie zwei meiner Start- und Zielpassagen mit einem kernigen „Hier kommt Six six six, the number of the beast“ kommentierte. Von der siebenten bis zur neunten Runde bewegte sich ein Pärchen von der LG Mauerweg Berlin in meiner Nähe. Mal war einer von denen am Boden, mal ich. So ging das hin und her. Das Schild mit der Aufschrift „Marathon“ (42,195 Kilometer) passierte ich nach selbstgestoppten 3:38:30 Stunden. Beim letzten Besuch am Verpflegungspunkt bedauerte ein Helfer meinen Griff nach einem Becher Tee mit einem herzzerreißenden „Schade, wir hatten so viel Hoffnung in sie gesetzt.“ Die finalen dreitausend Meter waren die Verarbeitung meiner 16jährigen Marathonlaufbahn, die 1999 in Frankfurt begann. Ich konnte es einfach nicht glauben, daß selbst das Pummelchen im Wanderschritt heute schneller war. Final rettete ich mich als „6 6 6, THE NUMBER OF THE BEAST“ gerade noch so unter fünf Stunden ins ZIEL. Es war VORBEI FÜR IMMER!
 
Peanut wurde von einem kaputten Zehgelenk gepeinigt, und bekam von Anfang an keinen Fuß auf den Boden. Dazu fehlten ihr die notwendigen langen Läufe im Vorfeld. Nach sechs Runden war füe sie die Quälgrenze erreicht. Mit 30 Kilometern lief Peanut genauso weit wie die entthronte Heldin des Vorwinters, und rangierte nach 3:21 Stunden auf Platz 187 bei den Frauen. Von den 860 Startern gab jede zweite Dame und jeder dritte Mann auf - satte 37 Prozent.
 
Mit dem Ausgang in Rodgau endete auch unser Kapitel „Rom 2015“ mit Marathon, Hochzeit und Flitterwoche.
 
Den Dolchstoß versetzte uns der Heimweg. Erst rückte das Taxi zum Bahnhof nicht an, dann hielt es einfach am falschen Platz - und die stündliche Schnellbahn fuhr ohne uns. Unsere Schnitten haben wir im beißenden Wind vor einem Kiosk in Dudenhofen gegessen. Zwei, drei „Röpis“ wurden dabei auch versenkt. Wir gingen im Dunkeln aus dem Haus und kehrten im Dunkeln heim. Zwei Tage danach wurde ich von Schüttelfrost, Kopfweh, einem dicken Sehnenansatz und höllischen Gelenkschmerzen niedergestreckt.
 
Aller Dank geht an Peanut, die sich noch mal zu diesem Irrsinn aufraffen konnte, und mir so manchen Kilometer in den vergangenen Wochen erleichterte. Ganz egal wie die Bedingungen auch waren: bei Wind und Wetter, bei Regen oder Schnee, auf Eis oder verschneiter Asche, nach Feierabend im Schein einer Stirnlampe, im ewigen Frost......
 
 

Heiliger Vitus, 4. Februar 2015; Bilder: Laufticker, Go4it, Anonym, Vitus
 
.:: ZAHLEN UND ZEITEN ::.
Wetter: Wechsel von Sonne und Wolken, 0 bis 4ºC, schwacher Wind aus Südwest
 
Gemeldet:
1125 (M: 815 / W: 310 / Nationen: 23)
Am Start:
860 (M: 630 / W: 230)
Im Ziel: 538 (M: 417 / W: 121)
Abgebrochen: 322 (M: 213 / W: 109)
 
Männer
1. Oleksandr Holovnytskyy (Ukraine) 3:08:48
2. Carsten Stegner (SV Amberg) 3:10:42
3. Thomas Klingenberger (Freiburg) 3:15:53
4. Bernhard Eggenschwiler (Schweiz) 3:17:55
5. Michael Sommer (EK Schwaikheim) 3:20:08
6. Markus Heidl (Spiridon Frankfurt) 3:23:57
 
Frauen
1. Tinka Uphoff (Spiridon Frankfurt) 3:39:06
2. Sabine Schmitt (Mainz) 3:45:00
3. Karin Kern (DJK Schwäbisch Gmünd) 3:49:32
4. Sina Manishe (LG Seligenstadt) 3:49:57
5. Natascha Bischoff (LG Karlsruhe) 3:53:09
6. Patricia Rolle (LG Nord Berlin) 4:01:58
 
Vitus (Spiridon Frankfurt)
Startnummer:
666
Zeit: 4:57:23
Platz:
248 von 630 bei den Männern
Platz: 49 von 130 in Klasse M50
Platz: 298 von 860 Gesamt
Zwischenzeiten
05 km: 0:25:13 (25:13)
10 km: 0:49:31 (24:17)
15 km: 1:14:26 (24:55)
20 km: 1:40:04 (25:38)
25 km: 2:04:36 (24:31)
30 km: 2:33:44 (29:07)
35 km: 3:03:42 (29:58)
40 km: 3:37:12 (33:29)
45 km: 4:18:07 (40:54)
50 km: 4:57:23 (39:16)
 
Peanut (Spiridon Frankfurt)
Startnummer:
667
Zeit: 3:21:17 (abg. 30 km)
Platz: 187 von 230 bei den Frauen
Platz: 42 von 57 in Klasse W50
Platz: 745 von 860 Gesamt
Zwischenzeiten
05 km: 0:30:01 (30:01)
10 km: 1:00:45 (30:44)
15 km: 1:33:26 (32:40)
20 km: 2:07:12 (33:46)
25 km: 2:42:24 (35:12)
30 km: 3:21:17 (38:52)
35 km: -
40 km: -
45 km: -
50 km: -
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Ergebnisse

RLT Rodgau